Klassik-Berserker mit dem feinem Pinsel

FESTSPIELE / CURRENTZIS / BEETHOVEN ZYKLUS

20/08/18 „Es ist nie meine Intention zu provozieren. Dennoch finden manche Menschen es extrem, was ich tue. Ich glaube das ist eine psychologische Frage“, sagte der Dirigent Teodor Currentzis am Sonntag (19.8.) Tage beim „Terrassentalk“ der Festspiele. „Für mich ist nicht das Ziel, dass Menschen ins Konzert gehen, es schön finden und sich bereits am nächsten Tag kaum mehr daran erinnern können.“

Von Heidemarie Klabacher

Dass man sich an ein Konzert mit Teodor Currentzis schon am nächsten Tag schon nicht mehr erinnern könnte, ist undenkbar. Als die Idee aufkam, alle neun Beethoven-Symphonien in Salzburg aufzuführen, habe er kurz gezögert, erzählte Teodor Currentzis beim Terrassentalk. „Jede Symphonie ist eine ganz eigene Welt. Es handelt sich nicht um eine Reihe, jede Symphonie hat ihre eigene Identität, ihren eigenen Klang. Es ist schwierig an einem Abend von einer zur anderen zu wechseln.“ Es sei die Idee von Intendant Markus Hinterhäuser gewesen, den gesamten Zyklus aufzuführen. Da er dem Intendanten sehr vertraue, habe er sich auf diese Reise eingelassen.

Am Sonntag (19.8.) standen die „Zweite“ und die „Fünfte“ auf dem Programm, bereits am Freitag (17.8.) die „Erste“ und die „Dritte“. Und noch immer ist diese „Erocia“ präsent, als hätte die Wiedergabe mit besonders feiner Nadel Erinnerungs-Rillen gezogen wie in einer Wachsplatte für die Schallplattenproduktion. Unschärfen sind dabei, vielleicht ein Geräusch eines knarrenden Sessels da und dort. Und doch ist die Klang-Erinnerung fast „greifbar“ und „sichtbar“ präsent.

Brach die „Neunte“ zur Eröffnung des Beethoven-Zyklus in der Felsenreitschule tatsächlich wie ein Naturereignis über den Zuhörer herein, war schon in dieser Wiedergabe überwältigenden Charakters dennoch alles organisch und ganz aus der Musik heraus entwickelt: Da war kein Tempo überhastet, da rang kein Bläser um Atem, zumindest ließen die souverän strömenden Linien diesen Gedanken nie aufkommen. Da fühlte man sich auch beim Zuhören nicht überfordert, nicht gehetzt. Sturm und Wind? Ja schon. Aber man saß im Auge des Taifuns, dessen Gebieter immer noch Beethoven heißt und nicht Currentzis. Dieser legt frei, macht hörbar, lässt sich entfalten was da ist, stellt sich als Dirigent nicht vor den Komponisten.

Nach der „Neunten“ übersiedelte der Zyklus in den Großen Saal. Dort hat ein Ivor Bolton mit dem Mozarteumorchester die Kristall-Luster schon heftiger in Drehung versetzt, als Teodor Currentzis mit seiner musicAeterna of Perm Opera und seinem angriffigen, auf markante Akzente und oft erstaunliche Wendungen in der Lautstärken-Dramaturgie setzenden Zugang zur „Eroica“. Dieser wirkte – bei allem musikantischen Ausreizen anschaulicher Details und überraschender Momente – vor allem von Ruhe und Konzentration auf das Erfassen des Gesamtbildes getragen. Das wiegende Thema des Kopfsatzes, ein Ruhepol; der Kondukt, der sich in geheimer Choreografie auf der Stelle wiegend immer neu zu formieren scheint, bis das Aufbegehren sich – nur für Momente – schreiend Bahn bricht; die Geschmeidigkeit des Scherzos, die Jagdmotive voller Elan, die dennoch wie in Sepia festgehalten; die schier bedrohlichen pianissimo-Momente des Horns als Gegenpol rasten Treiben des Finales… Da war nichts von simpler Heldenverehrung mittels Lautstäre und Berserkerkraft. Das war Klangarchäologie vom Feinsten.

Auch in die noch kaum revolutionäre „Erste“ wurde von Currentzis nichts hinein-interpretiert, was noch nicht drin – oder erst im Reifen – ist, mit dem Ergebnis einer heiter fließenden Interpretation, der man mit größter Aufmerksamkeit in jedes feine Crescendo gefolgt ist. Von wegen Berserker. Dieser Berserker kommt mit dem Archäologen-Pinsel. Hat man eine gewisse ketzerische Himmelsstürmerei nicht einst auch Nikolaus Harnoncourt nachgesagt? Dass musicAeterna of Perm Opera auf Originalinstrumenten spielt, sei zwischendurch mal wieder erinnert.

Bilder: Salzburger Festspiele / Anne Zeuner