Trostpflaster für Verschreckte

DIALOGE / FAZIL-SAY-NACHT

01/12/19 Die große Fazil-Say-Nacht am vorletzten Abend der Dialoge (Samstag, 30.11.) im Großen Saal des Mozarteums: Das Bühnenlicht aus der Orgel unterstreicht die Klangfarbenmuster einer Edelpop-Version von zeitgenössischer Musik.

Von Erhard Petzel

Mythische drei Vorreden zum Abend beschwören Integration und belegen diese mit der Kombination von türkischen Musikern beiderlei Geschlechts mit heimischen Kräften, der Anwesenheit des türkischen Generalkonsuls und des lokalen Kulturpolitikers. Dialog wird als Fluss der Worte erklärt, wobei auch launige Worte zur Regierungsbildung fließen. Das als Versuch einer Einführung zu Fazil Say, der sich als Brückenbauer zwischen den Kulturen sieht und selbst erklärend zum Mikrophon greifen wird.

Sieben seiner Werke werden in drei Paketen dargeboten, nach Besetzung und grob chronologisch angeordnet. Sie vereinen die grundsätzliche Haltung zur formalen Strukturierung und klangliche Farbenmalerei, die auf dem Untergrund der türkischen Wurzeln Says und seiner Praxis als klassischer Pianist mit Jazzaffinität fußen. Seine Musik ist prinzipiell rifforientiert in kurzen Themenbögen, wodurch einerseits folkloristische Hörerwartung erfüllt, andrerseits an Strukturen von Minimal Music erinnert wird. Programme stehen Pate für inhaltliche Entwicklungen und wollen den Anspruch politischer Aussage untermauern. Illustrierendes Pathos und große Geste gehören zum Auftritt, sodass die bei den Dialogen unterdessen übliche Illumination des Orgelprospekts violett, golden, orange, grün, blau und rot stimmungsadäquat das Genregeschehen unterstreicht.

Say beginnt solistisch mit seiner Klaviersonate op. 8 mit dem Titel Black Earth, um sich dann Benjamin Herzl für seine Sonate für Violine und Klavier op. 7 auf die Bühne zu holen. Beide Werke sind aus dem Jahr 1997 mit Referenz an Anatolien. Die Klaviersaiten werden für die Imitation von türkischen Saiteninstrumenten manipuliert. Alvedi Dedeler Raki Masasinda für Bläserquintett op. 35 von 2011 ist ein launiges Sittengemälde von disputierenden Aleviten-Vätern beim Trinken von Raki, dem das Salzburger Ventus Quintett charmant zum Klangleben verhalf.

Der folgende Block umgibt den komponierenden Pianisten mit Kammerorchester. Ursprünglich als Klavierquintett konzipiert, versteht sich Yürüyen Köşk op. 72 von 2017 als Hommage auf Atatürk und fußt auf der Beschreibung, wie dieser eine Holzvilla auf seinem Nationalbauernhof verschieben lässt, um Äste und Wurzeln einer Platane nicht zu beschädigen. So einfach ist es inzwischen wohl nicht mehr, als Muster für Naturliebe verehrt zu werden. Hier aber bauen sich die kleinräumigen Strukturbögen Says mit lautmalerischem Saitengekitzel zu großen Schwingungsbögen auf mit Klaviersoli und intensiver Kommunikation zum Klangkörper. Ein großes Schrulidum lädt zum metaphysischen Schunkeln ein. Senem Demircioglu ist die Solistin in Gezi Park 3 op. 54, einer Ballade für Mezzosopran, Klavier und Streichorchester aus dem Jahr 2014. Laho, diese zwei Silben reichen weitgehend aus als Anklage und mystische Reflexion auf die brutale Unterdrückung einer Volksbewegung durch den türkischen Staat.

Der dritte Teil des Abends war mit zwei Konzerten gefüllt. Bülent Evcil war der Solist des im Vorjahr komponierten Konzerts für Flöte und Orchester op. 76. Einfache pentatonische Figuren als melodiöse Keimzellen und das Spiel mit exotischen Klängen (z.B. Aquaphon als Rhythmusgeber oder Effekte des Kontrafagotts) erinnern an Orff, wenn auch mit vertrackterer Taktstruktur. Für die Camerata sichtbar ein Refugium lustvollen Werkens, was der Flöte das Durchkommen manchmal erschwerte. Mikrophon als Lösung für den Schlussteil mit Bassflöte. Dieses Sufi beschwörende Gewebe konnte Nil Venditti am Dirigentenpult nicht vor einem deplatzierten Zwischenapplaus bewahren.

Klangmalerisch konkret in seiner Gesellschaftskritik wird Say im Konzert für Cello und Orchester op. 73 mit dem Titel Never Give Up. Camille Thomas schüttelt es vor Verzweiflung zu Vogelsang und Kalaschnikow. Wer an die sentimentalische Konkretisierung von Gefühlen und die situative Kraft im musikalischen Gestus glaubt, wird hier tiefgreifend bedient. Says Musik wäre wohl auch von Gulda geschätzt worden und bietet sich als Trostpflaster für Verschreckte in Konzerten mit zeitgenössischer Musik an. Der massive Applaus legt dies zumindest nahe.

Die Dialoge 2019 gehen heute Sonntag (1.12.) um 18 uhr im großen Saal des Mozarteums mit Mozarts Requiem, kombiniert mit einem Stück von Periklis Koukos und Chorwerken von Carlo Gesualdo zu Ende – www.dialoge-salzburg.at
Bilder: ISM / Wolfgang Lienbacher