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Hier regiert der Wahnsinn

DIALOGE / MOZART REQUIEM

02/12/19 Nach der gesicherten Erkenntnis, dass ein Mozart Requiem immer geht, findet es sich also auch wieder abschließend im Programmreigen der Dialoge. Mit Moro, Lasso, Al Mio Duolo von Carlo Gesualdo von 1611 singt sich der Bachchor etwas distanziert ein. Direkt anschließend leitet Constantinos Carydis das Mozarteumorchester durch Periklis Koukos‘ In Memoriam Y. A. Papaioannou für Violine und Streichorchester.

Von Erhard Petzel

Periklis Koukos, griechischer Vertreter der musikalischen Postmoderne, setzte damit 1989 seinem Lehrer ein klingendes Trauerdenkmal: Vom Bassregister ausgehend richten sich die Streicher auf zum Kondukt, bis traurig-süß eine Solokantilene aus Konzertmeister Tomasis Geige emporsteigt. Pulsierende Akkordgruppen sequenzieren sich abwärts. Finis. Die beiden kurzen Werke – das todessehnsüchtige Gesualdo-Madrigal von 1611 und das 378 Jahre jüngere griechische Totengedenken – bilden also eine Art inhaltlicher Ouvertüre zu Mozart.

Unendlich zart und innig heben die Einleitungstakte an, werden kontrastiert und verschmelzen im Miteinander von Orchester, Chor und der geraden Stimme Danae Kontoras. Die dynamischen Gegensätze werden von Carydis an die Grenzen gereizt, ohne den agogischen Bogen einzubüßen. Der Spielraum für Entwicklung bleibt in weitem Atem bestehen. So fällt die Spannung im Laufe des lospreschenden Kyrie nicht ab, da sich die fortgetriebenen Stimmen durchgehend neu aufbauen und weitertreiben. Zur totalen Explosion gerät das Dies irae. Hier regiert der Wahnsinn und hetzt die Streicher, alle jemals begangenen Sünden abzubüßen.

Milan Siljanov verkündet profund die Posaune des Jüngsten Gerichts, die hier in enger Barockmensur ertönt. Mit dem distinguierten Tenor Mauro Peters und dem satten Mezzo Anna Stéphanys erzählt ein geschmackvoll zusammengesungenes Quartett von den bevorstehenden Leiden einer Endzeit-Judikatur. Knackig fährt das Orchester in die Parade, dass der Chor aufgeschreckt den Rex der Welt anschreit. Heiß-kalt stehen die lauten Schrecken den leisen Schuldeingeständnissen entgegen. Ganz leise soll die Milde Jesu musiziert werden, damit Elias Conrad auf der Theorbe vernehmbar sei. Mit Cembalo (Johannes Berger) und Orgel (Alexei Grotz) ist das allerdings ein Continuo-Block, der eine formidale Klangnuance für die Hölle einbringt, vor dem Rachen des Löwen regelrecht für einen obskuren Beat sorgt.

So strahlend das Blech die Solisten im Benedictus hinterleuchtet, so herausfordernd wird das Colla Parte für die Posaunen in der abgeklärten Cum Sanctis-Fuge, wenn sie in diesem Tempo zu bewältigen ist. Orchester, Chor und Solisten harmonieren, reagieren aufeinander und schaukeln sich gegenseitig hoch. Es bleibt ein äußerst bewegter Gesamteindruck von dieser Aufführung.  

Eine weitere Besonderheit ist das Spiel mit Zeit. Intonationen zum Ordinarium erfolgen durch einen Chortenor. Ganz sachte bildet ein Akkord die Überleitung zum Lacrimosa, das Auferstehen aus den Gräbern zieht sich über Pausengruben, die sich in die gleitende Aufwärtsbewegung der sündenbeladenen Menschen hinüberzieht. Ein Positiv-Vorspiel zum Offertorium erfährt einen Abbruch. Die Verheißung Abrahams und seiner Nachkommen sind eingebettet in großes Wachsen und entspanntes Ankommen in der Polyphonie. Zum Schluss reizt Carydis die mystische Gewalt seiner erhobenen Arme zur erzwungenen Fermate vor dem tosenden Schlussapplaus vielleicht etwas exzessiv aus.

Bilder: ISM / Wolfgang Lienbacher

 

 

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