Vom Leiden im Fegefeuer

OSTERFESTSPIELE / STAATSKAPELLE / MOZART-REQUIEM

16/04/14 Der Spezialist fürs 19. Jahrhundert auf anachronistischen Fremdgängen: Das dritte Osterfestspielkonzert mit der Staatskapelle Dresden unter Christian Thielemann hielt am Dienstag (15.4.) so Betörendes wie Fremdartiges bereit.

Von Reinhard Kriechbaum

Der „Ernste Gesang“ von Wolfgang Rihm: Das ist eine für diesen Komponisten typische Beinahe-Zitatmusik. Sie vermittelt eher Aura als konkretes Erinnern (und schon gar nicht: Wiedererkennen). Klingt da ein Hauch von einem evangelischen Choral durch das dichte Klagen der tiefen Orchesterinstrumente?

Zu solchen Stücken – auch und gerade wenn sie gleichsam aus der Zeit gerückt sind – hat Christian Thielemann, der bekennende Maestro fürs 19. Jahrhundert, spürbar hohe Affinität. Das Lamento, dem die Klarinettengruppe (die dort sitzt, wo sonst die Ersten Geigen Platz nehmen) den sonoren Klanggrund vorgibt, lässt er ohne Larmoyanz, aber eben in tiefer Traurigkeit zum Hörer sprechen.

Eine andere Form solcher Zeitbrechung: Richard Strauss hat die „Metamorphosen“ als „Studie für 23 Solostreicher“ bezeichnet und damit doch alles andere als etwas Abstraktes, sondern einen sehr persönlichen Trauer-Ruf geschrieben. Man könnte das klanglich auf- und ausreizen, schärfen. Also hörbar machen, dass wir uns mit diesem Stück am Kriegsende (Anfang 1945) befinden, als Opern-Musentempel wie jene in Wien und Dresden in Schutt und Asche lagen und der alte Strauss sein persönliches Fegefeuer durchlebte. Thielemann sucht einen anderen Zugang, lässt schwelgen und schwärmen vom Leid. Das ist noch 19. Jahrhundert pur, von den Streichern der Staatskapelle Dresden mit geradezu unerhörter Disziplin umgesetzt, feinästig den Kontrapunkt aufschlüsselnd. Wie die Melodien von den Celli aus nach oben wandern, sich der Ton über die Bratschen zu den Geigen hin wandelt und doch so stringent bleibt: Genussvoller kann Trauer nicht zelebriert werden.

Aber dann das Mozart-Requiem. Klar, Christian Thielemann hat nicht einen Seitenblick übrig für historische Aufführungspraxis. Er pfeift auf das, was man heutzutage so schön „historisch informiert“ nennt, wenn also Kapellmeister mit modernen Klangkörpern sich auf die Fährten älterer Klangrede begeben. Geradezu trotzig-selbstbewusst bekennt sich Thielemann zur einschlägigen Uninformiertheit. Was hält er dagegen? Er entfaltet ein dynamisches Spektrum, das sehr schnell ins Laute switcht und auf der anderen Seite das Diminuendo zelebriert bis zum extremsten Piano. Der Chor des Bayerischen Rundfunks hat diese Sicht, die so gar nicht der süddeutsch-österreichischen Kirchenmusiktradition entspricht (weder in der Historie noch neuerer Lesart) eins zu eins umgesetzt, wie es einem Profi-Ensemble wohl ansteht. Das Herz war da spürbar nicht dabei.

Zum Verwundern gab es genug: erstaunlich uninspirierte, ja rohe Orchesterfloskeln; oft geringe Durchhörbarkeit instrumentaler Nebenstimmen. Wozu hat Mozart eigentlich im Benedictus einen so differenzierten Holzbläsersatz geschrieben, wenn so wenig davon durchkommt? Das Eigentümlichste: So straff Thielemann die Tempi insgesamt organisiert hat, erlaubte er doch gelegentlich Rubati, die an Bizarrheit grenzten. Das Sopransolo im abschließenden „Lux aeterna“ war dafür das krasseste Beispiel.

Die Solisten: Sonderbar die Kombination der extrem schlanken Sopranstimme von Chen Reiss mit der vibrato-wabernden Altistin Christa Mayer, eine ähnliche Unausgewogenheit zwischen dem Tenor Steve Davislim und dem Bass Georg Zeppenfeld, von dem man als einzigem in dieser Gruppe solche Musik hören möchte. Für dieses Mozart-Requiem kommt wohl nur die Delete-Taste im Kopf in Frage.

Dieses Konzert wird am Karfreitag (18.4.) um 19 Uhr wiederholt. Hörfunkübertragung am 13.7., 11.03, um 11.03 in Ö1 – www.osterfestspiele-salzburg.at
Bild: dpk-klaba