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Die virtuelle Halbwelt aus Holz und Pappe

LANDESTHEATER / MAHAGONNY

01/05/17 Mahagonny: Das ist die klassische Blase, eine Hoffnungs-Stadt für die Glücks- und Unglücksritter der Halbwelt. Dort gilt nur, wer Geld hat. Wer das einbüßt, so wie Jim Mahoney in der Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ von Kurt Weill und Bertolt Brecht, der hat sein Dortsein und gleich auch sein Dasein verwirkt.

Von Reinhard Kriechbaum

Wo liegen die Mahagonnys der Jetztzeit? Jacopo Spirei, der in Salzburg den „Don Giovanni“ in einem amerikanischen Villen-Vorort der Middleclass angesiedelt hat, verlässt die Neue Welt in Richtung virtuellen Raum. In den Google-Farben leuchten die Buchstaben „Mahagonny“, alle sind gut ausgestattet mit Smartphones und Tablets und treue Mitglieder der New-Economy-Gesellschaft. Freilich zeigt der Suchpunkt von Google Maps auf den harten Bretterboden der Landestheater-Bühne, und es fehlt auch sonst nicht an Hinweisschildern, die uns überdeutlich machen, wo Geld generiert wird heutzutage: Alles ist voller Twitter-Tauben und Like-Daumen. Das Problem: Wenn man all das sorgsam auf Holz und Karton malt, wird die Bühne ziemlich zugemüllt. Für die Menschen, ihre Geschichte(n) und die Gedanken wird die Luft knapp.

Jacopo Spirei erzählt die Mahagonny-Story, in der Jim Mahoney für seinen Pessimismus der Sache gegenüber und für sein Aussteigen aus der Geldwelt zuletzt mit dem Tod bezahlt, dann eben doch nicht virtuell, sondern analog bis zur Biedersinnigkeit. Der Campingbus der Witwe Begbick muss im zweiten Akt als mobiles Freudenhaus herhalten, vor dem sich die Herren des Landestheaterchores anstellen. Stadttheaterrealität sieht in der beschworenen Ära der Netzcommunity recht armselig, wenn nicht unfreiwillig komisch aus. Überhaupt findet man an dem Abend ein Diktum des seligen Axel Corti bestätigt, das dieser vor drei Jahrzehnten gerade an diesem Ort bei einer Diskussion über die damalige Landestheater-Zukunft von sich gegeben hat: Es eignet sich nicht jedes Gericht dazu, auf dem Spirituskocher gegart zu werden.

Manches bleibt da zwangsläufig roh oder wird trocken. Viel Zähes in zwei Stunden zwanzig netto-Spieldauer. Eh nett, wenn die Freudenmädchen wie Barbies in Originalverpackung (mit Preiszettelchen) auf die Bühne geschoben werden. Aber der Sex Appeal – das gilt für den Chor wie für den größeren Teil des Ensembles – hält sich notgedrungen in Grenzen. Unbeabsichtigt wird dem lokalen Theater bestätigt, was im Stück über die Stadt Mahagonny gesagt wird: sie sei billig.

Also mutig gegensteuern mit Kurt Weills Musik? Das Mozarteumorchester macht seine Sache wirklich pflicht- und verantwortungsbewusst. Adrian Kelly, dieser lautere Kapellmeister, modelliert das Chroma. Er und seine instrumentalen Mitstreiter tun das Menschenmögliche, um sauberes Handwerk zu sichern. Redlicher kann man den Takt nicht zählen – und genau das ist das Todesurteil für eine Musik, die sich als laszive Verführerin, als schneidende Ironie oder blanker Sarkasmus, jedenfalls überspitzt und nicht bloß als dienendes Kunsthandwerk in die Ohren schlängeln müsste. Der zweite Akt, in dem all die Verrohungen in der Stadt Mahagonny ausgemalt werden: Das ist Stimmungsmord.

In dieser szenisch-orchestralen Misere müssen sich also die Sängerinnen und Sänger behaupten. Man hat mit großen Stimmen nicht gespart, und trotzdem – das ist ein großer Pluspunkt – wird Opern-Pathos vermieden. Einen Besseren als Franz Supper kann man sich gar nicht wünschen für den Jim Mahoney: Die sieben Jahre als Holzfäller in Alaska haben ihn nicht verrohen lassen, eine gewisse Melancholie und ehrliche Enttäuschung vom Leben transportiert Supper glaubwürdig. Laura Nicorescu hat als Jenny Hill mit dem „Moon of Alabama“ ja den Schlager des Werks gepachtet. Dass sie nicht zur Fürsprecherin wird für den zum Tod verurteilten Freund? Wer wollte Jenny das verargen? Starke Typen sind Fatty (Rainer Maria Röhr) und der Dreieinigkeitsmoses (Eric Greene), der die Muskeln nicht nur beim Singen spielen lässt: ein gut eingekaufter Gast, mit dem die Gruppe der Alaska-Typen, Elliott Carlton Hines (Sparbüchsenbill), Paul Curievici (Jack) und Raimundas Juzuitis (Alaskawolfjoe) bestens mithält. Frances Pappas ist die Witwe Begbick, der einen Abend lang die Felle davon schwimmen. Aus dieser Sänger- und Darsteller-Crew könnte man schon eine sehr überzeugende „Mahagonny“-Aufführung formen, wenn die Rahmenbedingungen in Szene und Musik passten.

Die Gerichtsverhandlung ähnelt einer der geläufigen Glücksspiel-Vorabendshow im Fernsehen. Jim Mahoney wird nicht gehängt, sondern auf einem menschengroßen Smartphone gekreuzigt. Als Nägel dienen vertraute Symbole aus dem Internet. Da schlägt das Analoge wieder vernichtend zu.

Aufführungen bis 14. Juni – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Anna-Maria Löffelberger

 

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