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Das ureigene Genom des Tanzes

LANDESTHEATER / BALACOBACO

11/05/18 Nie zuvor es für das Ballett des Landestheaters eine so lange Aufführungsserie gegeben wie für „Balacobaco“ - womit das Ensemble an die anderen Sparten bezüglich Präsenz  aufschließt. „Balacobaco“ ist Abschluss und Höhepunkt der ersten Spielzeit des neuen Ballettchefs Reginaldo Oliveira und zugleich Eröffnung der Spielstätte im Probenzentrum Aigen, das man zu Recht mit Stolz erstmals dem Publikum präsentiert.

Von Erhard Petzel

Die von der Architekturwerkstatt Zopf gestaltete Anlage erweist sich nicht nur als funktionaler Komplex, sondern zeigt sich als selbstbewusster optischer Marker mit nüchternem Innenleben, das in seiner kühlen Eleganz Begegnung und Kommunikation durchaus unterstützt (DrehPunktKultur berichtete).

Die Anzahl der projektierten Aufführungstermine korrespondiert mit der beschränkten Kapazität der Zuschauertribüne. Das ist für Salzburg sicher ein guter Weg, denn der Kontakt mit dem Ensemble ist ungleich direkter und intensiver als im Haus an der Schwarzstraße. Sieht man dem tanzenden Menschen ins Gesicht, entsteht ein emotionaler Bezug zur Person. Spürbar größer der Kontrast dadurch zu abstrakten Formationen. Die Palette der Interaktion zwischen Bühne und Tribüne wird von Ballettchef Oliveira intensiv bedient.

Die Burschen beginnen, indem sie ein überdimensionales Stiegen-Teil wie eine Mauer überwinden. Es folgt ein Fest der Jugend in wechselnden Gruppierungen. Anmache am Strand, Kuppelhilfe über den Freund, erotisches Spiel in diversen Spielarten, Schwimmen gegen den Strom und Festigung des eigenen Alleinstellungsmerkmals: eine Szene wie aus dem Decamerone aus den im Stiegenteil eingebauten Fenstern, alles das ist ureigenes Genom des Tanzes. Hier kommt es allerdings weniger verklausuliert als im klassischen Ballett und als offenherzige Erzählung in kräftigen Bildern.

Das Bewegungsrepertoire schöpft aus dem Fundus von Modern Dance, afrikanischen und lateinamerikanischen Traditionen. Die teilweise abstrakte Isolation von Körperteilen verstärkt oft parodistisch-heitere Gags im Kontrast mit weich fließenden Wellenbewegungen sowohl des Individuums, als auch der Ensemble-Choreographie. Leuchtende Schemel werden getragen, besessen, zu Mozart-Geist-Stühlen a la Abramovic aufgebaut, gestürzt und zu einem Wall gereiht, hinter dem ein Spiel mit Verstecken und überraschendem Zeigen des Unerwarteten gespielt wird.

Das Spiel mit Raum, Licht und der überwältigenden Kraft des jugendlichen Eros in Körpern, die für die Illusion eines Abends die Sehnsucht nach menschlicher Vollkommenheit erfüllen, wird durch zwanzig im Programmheft angeführte Musiknummern unterstützt, in deren Flow das Gesamtkunstwerk zur Lebensorgie verschmilzt. Die Pause wird umrahmt mit einer sympathischen Schüttelchoreografie, für die das Ensemble seinen Musikbeitrag mithilfe von Zungensprache selbst liefert. Ein für die hiesige Verfasstheit ekstatisches Eintauchen in eine exotische Welt der Lebensbejahung, die sich mit der Konnotation zum Brasilien Olivieras deckt.

Emotionale Entwicklungshilfe für ausgekühlte Mitteleuropäer? Nach den Dionysien setzt das Landestheater erneut auf die Idee Fest durch Spiel. Das Publikum wird nach dem frenetischen Schlussapplaus dazu animiert, auf die Bühne zu gehen und zu mitzutanzen. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass einige das als penetrante Anmutung empfinden und die Tänzerinnen und Tänzer – professionell in ihrer freundlichen Lebenslust – sich vielleicht schon nach der Dusche sehnen, muss man der Intendanz für ihre Intention ausdrücklich den Rücken stärken. Unsere ortsübliche Bewegungsarmut schlägt sich naturgemäß aufs Gemüt. Gegen die Verkümmerung von Lebensgefühl anzugehen, sind wir uns selbst verantwortlich. Aber mitreißen sollten wir uns lassen, mit oder ohne eisgekühlter Caipirinhas. - Ach ja: Balacobaco steht im Brasilianischen für das Wunderbare, Grandiose, für überbordende Freude, Schönheit und Glück!

Balacabaco – weitere Aufführungen im Probenzentrum Aigen bis 17. Juni – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: LT/Eva-Maria Löffelberger
Zum dpk-Bericht über die Fertigstellung des Probenzentrums in Aigen
Theater - ein ständiger Seiltanz

 

 

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