Die Emotion trifft frontal

UNI MOZARTEUM / EUGEN ONEGIN

18/06/10 Ausgerechnet während des Festbanketts, während der berühmten Polonaise am Beginn des dritten Akts, wird es eng für Onegin. Da fahren die Stellwände bedrohlich zusammen. Die Vergangenheit holt Onegin ein, die Erinnerung an seinen Jugendfreund Lenski und an das verhängnisvolle, für ihn tödliche Duell.

Von Reinhard Kriechbaum

altEine beachtliche Aufführung von Tschaikowskijs „Eugen Onegin“ hat die Universität Mozarteum zuwege gebracht im Großen Studio. Reichlich groß dimensionierte Musik für diesen Aufführungsort? Die jugendliche Emotion trifft tatsächlich frontal, aber gerade das macht die Überzeugungskraft aus. Es beginnt im Orcherstergraben bei der „Mozart Sinfonietta Salzburg“, die mit vergleichsweise wenig Streichern besetzt ist und so den Fokus auf die Bläserfarben richtet. Reinhard Seifried nimmt den Ton nicht zurück und führt die jungen Musiker gar nicht selten an die Grenze zum Übersteuern. Da wabern also nicht Sehnsucht oder Melancholie, sondern die Gefühle schneiden unmittelbar ins Fleisch. Fabelhaft geprobt wirkt das, und vom Premierenabend (Donnerstag, 17.6.) behält man nicht nur vorzügliche Holzbläsersoli im Ohr. Die Synchronisation mit der Bühne hätte besser gar nicht sein können.

Zwei Besetzungen gibt es für die vier Aufführungen (bis Sonntag, 20.6.): Am Premierenabend hat die Litauische Sopranistin Aiste Miknyte die Tatjana gesungen – eine Sängerin, die man in dieser Rolle jeder Bühne nur wärmstens weiterempfehlen kann und die zurecht umjubelt worden ist. Überhaupt: Da hatte man eine Abendbesetzung beisammen, die jederzeit in den professionellen Musiktheaterbetrieb zu integrieren wäre. Livia Krtschmann als Amme Filippewna, Bettina Schweiger als Olga sind da zuerst zu nennen, vor allem aber David Steffens, der die Arie des Fürsten Gremin im dritten Akt zu einem Höhepunkt des altganzen Abends machte. David Newton als Lenski ist ein Tenor, der sein Material vielleicht noch ein wenig unkontrolliert-mächtig vor sich herposaunt. Hyuk Lee hat man aus München „geborgt“, er hat dort den Eugen Onegin sogar schon im Prinzregententheater gesungen. Seine Stärke liegt im Dramatischen (und somit im dritten Akt).

Stepanka Pucalkova (Larina) hat in dieser Saison schon im Salzburger Landestheater die Marcellina gesungen. Es ist überhaupt auffallend, wenn man die Biographien der Sänger durchsieht: Die Grenze zwischen Opernschule und „echtem“ Berufsleben scheint immer durchlässiger zu werden. Man hat es hier beileibe nicht mehr mit Leuten zu tun, die noch in der „geschützten Werkstätte“ behütet werden. Das teilt sich natürlich unmittelbar mit, keine Spur von Anfänger-Nervosität, wie sie Opernschul-Aufführungen noch vor zehn, fünfzehn Jahren nachdrücklich geprägt hat.

Hier spielt man also echtes Theaterleben, und das gilt auch für die szenische Umsetzung. Mit Eike Gramss hat die Universität Mozarteum sowieso das große Los gezogen: Er ist ein lebenserfahrener Regisseur, der sein Handwerk beherrscht und es ganz uneitel in den Dienst der jeweiligen Sache zu stellen weiß. Eine schlacken- und schnörkellose Inszenierung mit genau gezeichneten Charakteren in einem Bühnenbild (Dieter Eisenmann), altdas mit ein paar schwarzen Stellwänden und den allernötigsten Requisiten auskommt. Das funktioniert nur, wenn ein Regisseur mit den Sängerinnen und Sängern wirklich genau gearbeitet hat, wenn Gesten nicht nur einstudiert sind, sondern auch stimmig kommen. Beim Fest im zweiten Akt tragen die Protagonisten und die Gäste (Chor Music @cosi) Papiermasken – jene von Onegin hat etwas Raubtierhaftes, mit spitzen, reißenden Zähnen: Das sind zugleich anschauliche Spiegelungen psychischer Zustände. Im dritten Akt führt die geradezu expolodierende Emotion in ein respektables Handgemenge zwischen Onegin und Tatjana.

Bleibt zu wünschen, dass auf längere Sicht Kooperationen zwischen Universität Mozarteum und Landestheater angedacht und umgesetzt werden: Aufführungen auf diesem Niveau könnten jederzeit auch auf der anderen Seite des Mirabellgartens in Abo-Serie gehen.

Weitere Aufführungen: 18., 19. und 20. Juni, jeweils 19 Uhr im großen Studio der Universität Mozarteum
Bilder: Universität Mozarteum / Christian Schneider