Teufels Netz und Engels Töne

KAMMEROPER SALZBURG / ECHO SYSTEM

27/07/20 Echo System statt Echokammer im Hallraum der Kollegienkirche: Things left unsaid ist das Motto der zweiten Produktion der Kammeroper Salzburg mit Musik von Bach bis Cage und einer raumgreifenden Netz-Skulptur.   

Von Erhard Petzel

Am 47. Tag der – ursprünglichen – Corona-Beschränkungen, es war der 1. Mai, gab es im Internet die Uraufführung der den Umständen geschuldeten Digital-Oper Tag 47. Eine Handvoll Sänger und Sängerinnen, ein Cello und Elektronik folgen dem Konzept Konstantin Pauls und der Musik Gordon Safaris. Womit die Kammeroper Salzburg geboren war. Der Anspruch der inzwischen drei Monate jungen Truppe: Die Oper in neuen Kontexten zu verorten und zu demokratisieren.

Wer sich Vergleichbares bei der Uraufführung des zweiten Projekts am Freitag (24.7.) in der Kollegienkirche erwartete, wurde gründlich in die Irre geführt. Gordon Safari leitete als Dirigent und Organist sein Publikum der sakralen Umgebung entsprechend in die Stimmung eines Mess- oder Oratoriengeschehens mit einer Zusammenstellung unterschiedlicher Stücke von Bach bis Cage und darüber hinaus.

Das Herzstück der „Szenischen Installation“ ist eine transparente Skulptur, eine tiefrote Schnur-Struktur in der Vierung. Nach oben ausgespannt und mit netzartigen Beinen und klumpfußartigen Sockeln auf dem Boden gehalten. 2700 Meter dünnes Seil in 23 Tagen geknüpft, einmal abgebaut und unter Zeitdruck finalisiert: Ihr Schöpfer Michael Hofer-Lenz zeichnet auch für für das Gesamtkonzept verantwortlich.

Schade, dass das Geflecht wie ein tibetisches Sand-Mandala für einen Augenblick geschaffen, nicht länger als Installation den Besucher der Kirche erfreuen kann. Es spielt mit der Symmetrie des Raumes, indem es dieser folgt und mit dem verschobenen Mittelfuß dagegen löckt.

Nachdem harmonisierend zum Glockengeläut ringsum das Cello (Hannah Vinzens) gestimmt ist, wird eine Tänzerin (Agnes Luck Galpin) im roten Netzkleidchen von der gleichfarbigen Skulptur angezogen. Zu den Gleittönen des Cellos tastet sie über deren Form und ruckt im Rhythmus der Akzente daran. Safari begründet dieses von ihm stammende Stück auf den zentralen Bordun D als musikalisches Pendant zu Raum und Skulptur im Spiel mit Symmetrien.

Mit Peter Vasks Gramata Cellam LL: Pianissimo erfleht das Vokalquintett mit Electra Lochhead, Zsófia Szabó, Katrin Heles, Bernhard Teufl und Jakob Hoffmann als Chorcluster von der Orgelempore göttliche Barmherzigkeit. Das Vokalensemble wird vom Cello nach unten gelockt und nimmt vor dem Altar Aufstellung zu Tomás Luis de Victorias O Vos Omnes. Ein Largo Vivaldis, Monteverdis Lamento della Ninfa, Cages Ear for Ear und Bachs Choräle Wer hat dich so geschlagen und Schlummert ein, ihr matten Augen bilden das musikalische Gerüst für das choreografierte Geschehen.

Die rote Tänzerin lockt die schwarzen Stimmen zunächst zum Netz und führt sie in selbiges ein. Im folgenden Reigen wird ihr das aber nicht freundlich gedankt. Die Schwarzen erweisen sich als aggressive Brut, die sich zunächst untereinander schlägern, schließlich aber die Tänzerin einfangen und niedermachen. Der Armen, ohnehin barfüßig auf kaltem Stein unterwegs, wird das rote Tüllkleid abgerissen, sodass sie in der weißen Unterwäsche liegen bleibt. Aber damit nicht genug. Gierig fallen die Räuber übereinander her um die Kleiderfetzen an sich zu raffen. Teufl erweist sich seines Namens würdig und bleibt siegreich über, erstickt schließlich aber am Gerafften. Die Zombies erheben sich singend und erzwingen Schlafes Frieden mit der geschändeten Tänzerin.

Erich Fromm und Goethes Todeslied eines Gefangenen kommentieren als Texte das Programmheft, im Publikumsgespräch wird der Titel des Projekts am Mythos von Echo und Narziss festgemacht. So hat jeder was zu denken. Laute Zustimmung für die kulturelle Sprinterleistung von Kammeroper und BachWerkVokal mit der Verwaltung der Kollegienkirche.

www.kammeropersalzburg.com
Bilder: BachWerkVokal