Große Oper vor der Durststrecke

LANDESTHEATER / MARGARETHE (FAUST)

01/11/20 Knapp vor dem zweiten Lockdown gab es im Landestheater noch eine Premiere: Charles Gounods lyrisches Operndrama Faust erlebte eine gelungene konzertante Aufführung. Es ist zu hoffen, dass es irgendwann zu weiteren Aufführungen kommen wird. Das glänzende Ensemble, Orchester und Chor haben es sich verdient.

Von Gottfried Franz Kasparek

Vier Aufführungen wären der Premiere am Samstag (31.10.) im Laufe des Novembers gefolgt. Sie fallen nun, hoffentlich nur für's Erste, dem zweiten Lockdown zum Opfer... Das Stück heißt jetzt in Salzburg, etwas kurios, Margarethe (Faust), obwohl französisch gesungen wird. Natürlich interessierten Gounod und seine Librettisten vor allem Faust I und die Gretchen-Tragödie, für die neben Goethes Jahrhundertwerk Michel Carrés damals in Paris erfolgreiches Theaterstück Faust et Marguerite Pate stand. Der Originaltitel ist eindeutig Faust. In deutschen Landen setzte sich allerdings zunächst Margarethe durch, weil man dem geheiligten Dichterfürsten nicht zu nahe treten wollte. Im meiner Jugend hieß Gounods Oper sogar noch an der Wiener Staatsoper so. Heute gibt es eigentlich keinen Grund mehr dafür, den „großen Deutschen“ Goethe vor einem französischen Komponisten ersten Ranges zu schützen. Vor einem Komponisten, der die philosophischen Tiefen des Dramas gar nicht ergründen wollte, sondern eine packende Tragödie über Liebe, Leid und Tod einer zur Kindsmörderin gewordenen jungen Frau schrieb, voll großer Gefühle, melodischem Zauber und gekrönt von einer religiös-romantischen Verklärung, gegen die der rast- und ratlose Verführer und der galante Teufel nichts mehr tun können.

Das Orchester befand sich in ausreichender Größe auf der Bühne, dahinter der Chor, davor, auf dem abgedeckten Orchestergraben, die Solistinnen und Solisten. Das funktionierte akustisch gut, auch wenn, zumindest vom Parterre aus, die Bläser mitunter etwas in den Hintergrund gerieten. Dem Musikdirektor des Hauses, Leslie Suganandarajah, gelang eine ebenso klanglich differenzierte wie oft mächtig auftrumpfende, dramatisch akzentuierte Wiedergabe der farbenreichen, geschickt und ohne größere Verluste auf zwei Stunden gekürzten Partitur.

Das Mozarteumorchester Salzburg spielte mit Wärme, Animo und Perfektion und genoss es spürbar, wieder einmal „große Oper“ interpretieren zu dürfen. Der von Ines Kaun perfekt einstudierte Chor setzte Glanzlichter im Faust-Walzer und im hymnischen Finale. Die szenische Einrichtung von Matthias Kreinz musste sich auf stimmungsvolle Beleuchtung und wenige Gänge und Gesten beschränken. Alle traten immer brav mit Maske oder Schal vor Mund und Nase auf und befreiten sich davon zum Singen. Und gesungen wurde hervorragend.

Wer bei der letzten szenischen Landestheater-Produktion von Gounods Faust, im Oktober 2000 im Großen Festspielhaus, dabei gewesen ist, sah im Geiste die blühenden Blumenwiesen von damals. Dennoch hat das Konzertante seine Reize, was die Konzentration auf Text und Gesang betrifft. Im Text steckt mehr Goethe, als man meist wahrnimmt. In der Titelrolle, also als Faust, eroberte sich der junge schottische Tenor Luke Sinclair das Publikum mit unprätentiöser Erscheinung, großer Musikalität, runder baritonaler Mittellage und bruchlos daraus entstehender, dezent metallischer und in der Tat strahlender Höhe. Anne-Fleur Werner hat mit der Margarethe eine wahre Glanzrolle gefunden. Ihr lyrisch-dramatischer, leuchtkräftiger und auch die Koloraturen der „Juwelenarie“ sicher bewältigender Sopran begeisterte ebenso wie ihr nach wirklich szenischer Gestaltung rufendes, berührendes Spiel.

Letzteres gilt auch für den profunden Bass des Raimundas Juzuitis. Sein Mephistopheles ist ein schleimiger, ein wenig operettenhafter Kavalier, der seine latente Gefährlichkeit originell hinter melancholischer Eleganz verbirgt. George Humphreys hat exakt die edlen Baritontöne für den eigentlich ebenso gefährlichen, weil in starren Ehrbegriffen gefangenen Bruder Valentin. Er stirbt im Wortsinn aufrecht im Frack. Olivia Cosio mit schönem Mezzo (Siebel), Olga Levtcheva (die hausfraulich verführerisch wirkende Marthe Schwerdtlein) und Manuel Millonigg (ein Kerl von einem Famulus Wagner) erfüllten die kleineren Rollen. Großer Jubel des diszipliniert maskierten Publikums. Für das unverzichtbare Live-Erlebnis nimmt man ein wenig Leiden auf sich. Auf baldiges Wiedersehen!

Bilder: LT / Anna-Maria Löffelberger