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Spannend. Hingehen. Trotz Inszenierung

LANDESTHEATER / GREEK

27/05/13 Das Lob mag übertrieben sein, tatsächlich erinnert Mark-Anthony Turnages Oper „Greek“ ein wenig an Alban Bergs „Wozzek“, zumindest an die bläser-dominierte feinnervige Kammermusik-Variante, die das Mozarteumorchester voriges Jahr um die gleiche Zeit gespielt hat.

Von Heidemarie Klabacher

438Rhythmisch pointiert, eng an der Sprache, unruhig und beunruhigend, vorwärts drängend, dabei stets präzise in den vielschichtigen Rhythmen und den transparent und exakt gezeichneten Bläserlinien, klangvoll in den wenigen ruhigen melodischen Passagen: Das Mozarteumorchester unter der Leitung von Leo Hussain zeigte einmal mehr seine Stärken im Bereich „Moderne“ - und war denn auch die Basis für den Erfolg der Salzburger Erstaufführung von „Greek“ bei der Premiere am Sonntag (26.5.) im Landestheater.

Die Oper von Mark-Anthony Turnage wurde 1988 bei der Münchner Biennale uraufgeführt und hat es mit ihrer markig jazzigen, ja funkigen, dabei nie verstörend „zeitgenössischen“ Klangsinnlichkeit ins Repertoire geschafft: Ganz zu recht. Eine Story hat die Oper natürlich auch. Und zwar eine simple Eins-zu-Eins-Nacherzählung der Ödipus-Geschichte: Junger Mann tötet Vater und heiratet Mutter, nicht wissend, dass seine „Eltern“ nur Zieheltern sind, die den ausgesetzten Knaben einst gerettet haben.

Ödipus begeht also Vatermord und Inzest ohne es zu wissen. Die Strafe für diese Schändlichkeiten ist eine Seuche in jener Stadt, die der schlaue Ödipus zuvor von der Sphinx befreit hatte, die vor dem Stadttor saß und alle auffraß, die ihr Rätsel nicht lösen konnten…

439Es ärgert immer ein wenig, wenn zeitgenössische Künstler (egal, ob sie nun in Farbe oder Buchstaben arbeiten) sich in der Antike wie in einem Gemischtwarenladen bedienen, und die Geschichten, die seit zweitausend Jahren garantiert funktionieren, so auf’s Papier oder auf die Bühne bringen, als hätten sie sie selber erfunden.

Turnages Libretto zu „Greek“ basiert auf dem gleichnamigen Schauspiel von Steven Berkoff aus dem Jahr 1980, das der Komponist und der Regisseur der Uraufführung gemeinsam erstellt haben. Ödipus heißt hier Eddy. Es geht nicht um Königspaare, sondern um simple Bürger. Die Mutter-Ehefrau (weiland Iokaste) führt ein Cafe in irgendeiner Stadt in England. Der „Fluch“ zeigt sich nicht in Pest und Cholera, sondern in sozialem Elend und Aufruhr. Die Sphinx ist auch noch da und nervt mit ihrem Rätsel, dessen Lösung übrigens einen originell-obszönen Einschlag bekommen hat.

Der Originaltext ist natürlich Englisch. Die in Salzburg gespielte Deutsche Fassung in der Übersetzung von Ken Bartlett ist vom Komponisten autorisiert. Da die Besetzung am Landstheater erst recht wieder aus vier Sängern nicht-deutscher Muttersprache besteht, versteht man kaum ein Wort vom Text. Sprachlich ergibt das Ganze die übliche babylonische Verwirrung, wie bei allen Opernproduktionen mit international zusammen gewürfelten Ensembles.

440Musikalisch-sängerisch freilich leisten die vier Solisten Hervorragendes: Der Bariton John Chest als Eddy, Frances Pappas (die voriges Jahr als Marie im Wozzeck begeistert hat), Stephen Bronk als Dad und Erin Snell als Mum. Das Mozarteumorchester unter Leo Hussain gibt ihnen allen die ideale Basis, ihre Parts technisch und klanglich souverän und mit mitreißender Energie auszusingen und auszuspielen.

Tatsächlich spielen - außer Eddy - die Hauptdarsteller auch noch zahlreiche Nebenrollen. Eine nackte Dame spaziert leitmotivisch effektvoll durch die Szene. Sie ist dann die mittlere von den drei Sphingen: die gefährlich faucht und mit Schokolade übergossen wird.

Dass man der Salzburger Aufführung von „Greek“ bei aller musikalischen Brillanz doch mit Vorbehalt begegnet, liegt an der Regie von Andreas Gergen, der sich anscheinend nicht so recht zwischen Farce und Tragödie entscheiden konnte. Mum und Dad sind in den meisten Szenen Schießbudenfiguren wie von Manfred Deix erdacht. Der Chor des Landestheaters - der übrigens immer besser wird – legt in Dirndl und Kaiserbart (oder beidem) einen strammen Protestmarsch gegen Ausländer hin und schwingt Tafeln mit Sprüchen aus jüngeren FPÖ-Wahlkämpfen… Das hat alles seinen Witz, geht mit der eigentlichen Geschichte aber keine sinnfällige Verbindung ein.

441Elemente der Farce liegen freilich schon im Text, den man akustisch zwar kaum verstanden hat, man aber dank aufmerksamer Presseabteilung nachlesen konnte. Im Text stecken möglicherweise weitere ergiebige psychologisch/psychoanalytische Motive („Ihr seid die Plag, die Plage ist in Euch“). Selbst eine Kritik am seit Jahrtausenden männlich dominierten Frauenbild („Liebe von Euch heißt  Versklavung“) wäre vermutlich zu entdecken. Die Regie zeigt jedenfalls nichts davon. Eddy blendet sich übrigens nicht. Er kehrt zurück zu seiner Frau…

Wie die Musik und wie die Sänger ist auch die Ausstattung von Stephan Prattes ganz hervorragend: In einem dreh- und fahrbaren Kubus hoch über dem Bühnenoden finden die „Indoor“-Szenen statt, die aber ebenfalls ausschauen, wie aus dem Satire-Magazin.

Trotz aller Unaufgelöstheiten und dem unentschiedenen Schwanken zwischen Slapstick und Psychogramm lässt die sich anbahnende Aufdeckung der Verstrickung Eddies in seine eigene unschuldige Schuld den Zuschauer den Atem anhalten: Die vier Sänger finden über die Farce hinweg einen Weg in die Tiefe. Der Regie zum Trotz: Die von Sophokles, Euripides & Co. vor zweitausend Jahren entwickelte Dramaturgie funktioniert einfach.

„Greek“ - insgesamt fünf Aufführungen bis 9. Juni - www.salzburger-landestheater.at
Bilder: LT/Christina Canaval

 

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