Ganz einfach Nein sagen?

ARGEkultur / OPEN MIND FESTIVAL

08/11/16 Am Donnerstag (10.11.) geht das Open Mind Festival in der ARGEkultur los – und man kann gleich an den ersten beiden Festival-Tagen mit frisch gebackenen Nestroy-Preisträgern aufwarten: mit Regisseur Martin Gruber und seinem „aktionstheater ensemble“.

Von Reinhard Kriechbaum

Kein Stück über Syrien“ heißt die soeben in Wien ausgezeichnete Produktion. In Salzburg wird Immersion. Wir verschwinden“ uraufgeführt. „Es geht um die vermeintlich zu kurz Gekommenen“, erklärt der Regisseur, und er erklärt gleich sein Verständnis von heutigem Ensembletheater: „Wir können uns nicht gütlich tun an unserer Gescheitheit und sagen, die anderen sind deppert.“ Das Korerektiv sei „ganz einfach“, es gelte bei sich selbst anfangen. „Wir verarschen uns immer zuerst selber, putzen uns nicht an den anderen ab“. Das Ergebnis sei „eine komische Tragödie“. Es gehe ihm und seinem Ensemble „um Ambivalenzen, um Nuancen“ und keinesfalls darum, „von der Bühne herunter zu sagen, was Gut und was Böse ist“. Darauf muss nach Vorstellung des frischgebackenen Nestroy-Preisträgers schon das Publikum selbst kommen. Dessen mögliche Gefühle und Reaktionen „denken wir mit, wenn wir im Ensemble den Text erarbeiten“.

Jedenfalls habe, wie Martin Gruber vehement vertritt, das Theater für ihn „die Aufgabe, sich mit dem Jetzt zu beschäftigen“, denn „die Zeit verlangt danach, zu reagieren“. Damit trifft Martin Gruber sich vermutlich zu hundert Prozent mit der Kuratorin des Open Mind Festivals, Cornelia Anhaus. Sie hat die Veranstaltungsreihe von 10. bis 20. November unter das Motto „Aus Weg. Das wesentliche Nein“ gestellt. Als emanzipatorisches „Genug ist genug“ will sie das Thema verstanden wissen, als „befreiende Verweigerung“. Oder doch eher Flucht vor sich selbst, mitsamt dem damit einhergehenden Eskapismus?

Unser Gehirn sei darauf konditioniert, Konflikte im zwischenmenschlichen Bereich zu vermeiden und schaltet daher oft auf ein „Ja“, so Cornelia Anhaus. „Viele Kulturen haben nicht einmal ein Wort für 'Nein', stattdessen retten sich Sprachen wie Chinesisch in Umschreibungen.“ Nicht Klarheit stehe hier im Vordergrund, sondern der Wille. sozialen Norm zu entsprechen. „Ein 'Nein' erfordert Selbstbewusstsein und das beginnt im Kopf“, sagt die Festival-Kuratorin.

Solcher Kopf-Freiheit nachzuhelfen, ist ja seit jeher Ziel und Inhalt des Open Mind Festivals. Wie üblich sind Theater-, Musik-, Film- und Tanzabende verbunden mit diskussiven Veranstaltungen. Nicht wenige mensc hen beispielsweise sind wegen ihrer sexuellen Ausrichtung in ihren jeweiligen herkunftsländern nicht gern gesehen, ja bedroht. „Queer und auf der Flucht“ ist an zwei Tagen ein Thema. Weltweit werden in 75 Staaten Homosexuelle verfolgt, und in acht Ländern droht gleichgeschlechtlich orientierten Menschen sogar die Todesstrafe. Dem stehen nur 15 Länder (darunter Österreich) gegenüber, die die homosexuellen Personen Asyl gewähren.

Ziemlich bemerkenswert: Die „Montagsrunde“ am 14.11. zum Thema „Das Ende des Kapitalismus?!“ wurde in den Großen Saal der ARGEkultur verlegt, so groß ist das Interesse. Es diskutieren der kroatische Philosoph Srećko Horvat und der Journalist Robert Misik, zwei deklarierte „Linke“.

Elf TänzerInnen mit und ohne Behinderung, außerdem zwei Asylwerberinnen: ein buntes Grüppchen ist beim Abend „Kein Stück Liebe“ der Dance Company „Ich bin O.K.“ am 16. November beisammen. „Lieder vom Tanzen und Sterben“ offeriert Paul Plut, der Sänger der Deutschpop-Band Viech, in seinem ersten Soloprogramm, das autobiographische psychische Schattseiten nicht ausblendet. Plut thematisiert auch seine beiden Suizidversuche (17.11.).

Aufrüttelnd ist die Lebensgeschichte von Florence Burnier-Bauer; für sie war die legendäre Kommune von Otto Mühl nicht das einzige Drangsal ihres Lebens. Ein Film- und Konzertabend macht ihre Story zum Thema. Laurie Penny ist an einem Abend da und spricht über „Unspeakable Things – Sex, Lies and Revolution“. Sie gilt als eine der umstrittensten Vertreterinnen einer radikalen Linken und Feministin (19.11.).

Am letzten Tag von „Open Mind“ ist nachmittags eine Fahrradtour zum Thema „Ab ins Verderben“ angesagt. Man sammelt weggeworfene Lebensmittel, die Sache endet mit Wastecooking.

Open Mind Festival. Von 10. bis 20. November in der ARGEkultur – www.argekultur.at
Bilder: ARGEkultur / Apolonnia Pitzan (1); Laurent Ziegler (1)