Die Götter müssen verrückt sein

SCHAUSPIELHAUS SALZBURG / WUT

22/01/17 „Die Textflächen der Schreibwütigen fordern die brachiale Mittäterschaft der Regie.“ Den schönen Satz aus der „Zeit“, in der Kritik zur Uraufführung von Elfriede Jelineks „Wut“ in den Münchner Kammerspielen (im Frühjahr 2016), könnte man auch auf die tumultuös-burleske Aufführung im Schauspielhaus-Studio anwenden.

Von Reinhard Kriechbaum

„Singe den Zorn, meinen wirst du damit nicht erregen!“ heißt es in einem der ersten Absätze des Monster-Texts. Stimmt natürlich nicht, die Jelinek empfindet ohnmächtige Wut. Und die Hexameter-Anspielung ist auch nur artifizielle Anmutung. Unmittelbar nach dem Pariser Anschlag auf Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt hat Elfriede Jelinek angehoben zu der Ehrfurcht einflößenden 50.000-Wörter-Suada. Den Wut-Schwall über die terroristische Aggression hat sie sich vermutlich nicht erst abringen müssen. Die Jelinek beginnt ja für gewöhnlich schon auf einem hohen Pegel der Erregung. Der Hang zur Abrechnung eignet den meisten ihrer Texten, auch wenn ironische Brechung, Selbstreflexion und Selbstironie die frontale Attacke der Blindwütigkeit etwas einbremsen.

Diese rationale Selbstkontrolle macht auch „Wut“ erst so recht gefährlich. Elfriede Jelinek gibt nicht vor, irgendwelche Lösungen bereit zu haben. Das setzt ihren Text ganz entscheidend ab vom weitverbreiteten Weltverbesserungs-Theater, das in der Selbstgewissheit stecken bleibt. Der Jelinek'sche Wort- und Gedankenschwall, der den Leser gleich platt macht wie den Theaterbesucher, ist über lange Strecken nicht nur angriffslustig, sondern tatsächlich platt.

Aber der Reihe nach: In einem weiß gefliesten Raum finden wir uns, Zeus wetzt das Schlachtmesser, der Schwan hängt kopfüber an einem der Fleischerhaken. Mit einem Gott war schon in der Antike nicht zu spaßen, auch wenn der bärtige alte Herr – Olaf Salzer spielt ihn rührend tollpatschig – ein wenig aus der Zeit und aus der Rolle gefallen scheint. „Gott, er wirkt, aber er bewirkt nichts“, heißt es zweideutig, und das gilt auch für die Kollegenschaft: Jesus kann sich ja wirklich als Gott bezeichnen. Alexandra Sagurna bringt die passend dürre, nazarenische Gestalt mit. „Ein Despot“ (Magnus Pflüger) steckt in einem Kostüm-Mix mit Anspielungen von Napoleon bis Hitler, von Herkules bis zu einem südamerikanischen Militär. Buddha (Ute Hamm) sitzt im Rollstuhl am Rand der ersten Zuschauerreihe und gefällt sich in Klugscheisserei: „Irgendwie lächerlich der Mensch in seiner Wut.“ Eh wahr. Mohammed (Matthias Hinz) wirkt in vielen Szenen noch als einer der Normalsten in der Runde, wenn er auch mit dem Bilderverbot eher kokett umgeht.

In diese Gesellschaft der genuinen oder selbsternannten Götter platzen zwei Störenfriede. Der erste ist „Omran, das Kind aus den Trümmern aus Aleppo“. Christiane Warnecke sind Fleischwunden ins Gesicht geschminkt und sie lässt es nicht mangeln an eindringlich jammervoller Erscheinung. Dass sie zuletzt einen Sprengstoffgürtel umschnallen wird, wen wundert's? Störenfried Nummer zwei ist die Autorin (Ulrike Arp). Ausstatterin Agnes Hamvas hat sie nicht ins übliche Dichter-Domizil, in einen elfenbeinernen Turm gesetzt, sondern in ein beengendes Gehäuse aus Metallstreben und einer Glaswand. Auch eine Form von Isoliertheit, ein anschauliches Gefängnis für jemanden, dessen Handwerk das Schreiben ist, der aber die Ohnmacht eben dieser Tätigkeit wohl einsieht: Manch Resignatives tönt aus dem Dichter-Verlies, in dem sich das Alter Ego der Jelinek und Unmengen von Papier ein Duell liefern und von wo ein Bakelit-Telefonhörer in die Schaltzentrale welchen Gottes auch immer führt.

Regisseurin Anne Simon destilliert aus dem Text eine grelle Revue des Kräftemessens zwischen Göttern und Gottgleichen, die ihres Gott-Seins durchaus überdrüssig scheinen, die aber gar nicht anders können, als ihren Anspruch durchzusetzen – mit Dolch, Fleischmesser, Revolver oder bloßen Fäusten. Gerade die Softies unter ihnen wirken dann geradezu jämmerlich lachhaft. Viel eher traut man ihnen Plätze in medialen Talk-Runden zu. Auch eine solche Szene gibt es. Was geht in Menschen vor, die sich solche Möchtegern-Götter ausdenken? Und sind Götter um solche coelestialen Kreationisten als Gefolgsleute zu beneiden? Auch wenn man, wie in der Salzburger Aufführung, etwa die Hälfte des Textes wegstreicht (die Uraufführung in den Münchner Kammerspielen hat weit über drei Stunden gedauert, im Schauspielhaus sitzt man all die Turbulenzen in eindreiviertel Stunden ab), bleiben viele Facetten, bleibt viel Gedanken-Stückwerk auf einer theatralen Geröll-Lawine. Dass die Regisseurin die Götter und ihre Propheten über weite Strecken in ihrer Ohnmacht sehr liebenswürdig zeichnet, ist auf der Habenseite zu verbuchen. Wenn Flüchtlinge, Söldner, Terroristen hereinbrechen, dann stehen sie, in deren Namen all das Böse passiert, auf verlorenem Posten.

Das Ensemble wirft sich mit Vehemenz und gebündelter Energie ins Rennen. Die Textflächen der Elfriede Jelinek (die Sätze einzelnen Rollen zuzuschreiben, ist Sache der Dramaturgie bzw. Regie) erfordern sprachliche Fassung. An der hapert es gelegentlich. Nicht an der Verständlichkeit, aber an der Abstimmung in den Idiomen. Die aufgeklebten Rauschebärte erinnern an Schultheater, aber gerade das ist „Wut“ nicht, denn von einem solchen erwartete man pädagogische Lösungsvorschläge.

Elfriede Jelinek hat in „Wut“ keine solchen bereit, und die Regisseurin nahm die Dichterin diesbezüglich beim Un-Wort. Die einzige Lehre des turbulenten, aber auch tendenziell strapaziösen Abends: Die Götter müssen verrückt sein! Und jene, die an solche glauben oder ihnen gar folgen, sowieso.

Aufführungen bis 23. Februar – schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Jan Friese