Das Leben ist anderswo

ARGEkultur / OBERÖSTERREICH

27/02/18 Das Wort „Modernisierungsverlierer“ war noch nicht erfunden, als Franz Xaver Kroetz 1972 das sozialkritische Stück „Oberösterreich“ schrieb. Aber es hat diese Leute natürlich auch damals gegeben. Sie sind nur weniger aufgefallen, weil sie bei Wahlen noch nicht blau-braun angekreuzt haben.

Von Reinhard Kriechbaum

Heinz und Anni heißen diese beiden. Seit drei Jahren sind sie verheiratet, in schlecht bezahlten Jobs mehr schlecht als recht aufgehoben. Annis Träume sind winzig klein: Ein Besuch in Wien, der „Kaiserstadt“. Und ein Ausflug auf die Zugspitze. Trotzdem unerreichbar. Sie träumt, er ist wortkarg. Gespräche versanden schnell. Es bleibt und wächst das Gefühl, da draußen etwas zu versäumen, was in dem Fall auch absolut stimmt.

Den „Volksstücken“ des in den 1970er Jahren so erfolgreichen Franz Xaver Kroetz ist immer wieder vorgeworfen worden, dass da sehr dick aufgetragen wird. Aus fast fünfzig Jahren Distanz sieht das anders aus. „Oberösterreich“ ist aktuell wie nur. Heute gehen diese Leute in Heerscharen den Populisten auf den Leim. Hildegard Starlinger, die Kroetz' Stück in der ARGEkultur inszeniert hat, hat diese Aktualität hervorgehoben, indem sie aktuelle Politikersprüche einspielt.Was muss in Menschen wie Anni und Heinz vorgehen, wenn sie aus des Kanzlers Mund hören: „Eigentum ist die beste Altersvorsorge.“ Gerade diese beiden, für die eine Welt zusammenbricht, als sich herausstellt, dass Anni schwanger ist, haben nicht die kleinste Chance, zu relevantem Eigentum zu kommen. „A Kind tät ja net schlimm sein, man muss sich nur an den Gedanken gewöhnen.“ Aber das Geld: „A Kind is a Faktor, den kein Mensch überschaut.“ Abtreibung steht im Raum: „Mach ma die Rechnung und fällen wir einen Urteilsspruch über das Kind.“

Markus Weisheitinger-Herrmann hat Videos gedreht mit verschiedenen Leuten, sie nach Glück, Wünschen und Lebenszielen befragt: einen Bankdirektor, eine Apropos-Verkäuferin, eine Schauspielerin, eine Bäuerin, eine Mitarbeiterin der Schuldnerberatung. Die Statements werden eingespielt, und so wird der doch artifiziell wirkende Text von Franz Xaver Kroetz im Heute geerdet.

Anna Morawetz und Wolfgang Kandler spielen das junge Ehepaar – und sie spielen es so, dass man viel Sympathie empfindet. Für beide. Noch eine Zutat hat sich Regisseurin Hildegard Starlinger ausgedacht, eine weiß vermummte Tänzerin (Anna Adensamer) und einen ebenfalls weiß gekleideten Musiker (José Fernando Elias). Auch das hilft, das gekünstelte Kroetz'schen Sprach-Idiom zu relativieren. Alois Ellmauer hat ein hyper-einfaches Bühnenbild aus geschichteten Ziegelsteinen bereit gestellt.

Und, nebenbei angemerkt: 1972 war Oberösterreich für Kroetz das Synonym für ländliche Rückständigkeit, so kommt's zum Titel. Heute würde er Anni und Heinz wohl eher im urbanen Umfeld ansiedeln.

Weitere Aufführungen am 28. Februar sowie am 2., 20., 21. und 22. März im Studio der ARGEkultur – www.argekultur.at
Bilder: ARGEkultur / Michael Größinger