Die Krawatte wird zum Henkersstrick

TOIHAUS / ICH NANNTE IHN KRAWATTE

18/02/19 Nach 35 Jahren ist der Alte aus der Welt gefallen. Einmal stürzen, einmal am Schreibtisch einschlafen, schon ist man ein gekündigter Versager, der ohne Arbeit von zuhause in den Park loszieht mit der von der Frau geknüpften Krawatte.

Von Erhard Petzel

Milena Michiko Flaṧars Roman „Ich nannte ihn Krawatte“ als Performance im Toihaus: Das Umfeld in der Geschichte um den 20jährigen Taguchi und den um die 50 Jahre alten Ohara wird im Toihaus ohne japanisches Kolorit erzählt. Andreas Jähnert ist als junger Außenseiter nicht unbedingt ein Hikikomori, Alexander Mitterer kaum ein Salaryman; zu sehr stehen sie rein optisch als becketthafte Figuren westlicher Prägung in einem abstrahierten Reigen. Der dreht sich um die Bank auf der Bühne. Der choreografische Charakter wird von vorneherein mit der Musik Yorgos Pervolarakis‘ verdeutlicht, dessen Gitarre, Mundharmonika und Gesang Zeit und Raum einrahmen.

Mit dem Wind einer Schwirrschnur holt er den verstörten Jungen auf die Bühne, mit dem Fuß schlägt er den Takt der Zeit, während sich die beiden Männer auf der Bank in irritierter Sehnsucht stumm und zögerlich wahrnehmen. Der ständige Blick des gealterten Anzugträgers auf die Uhr ist ein anderes von vielen Mustern, Zeit choreografiert zu rhythmisieren, die Aktentasche und ihr Inhalt bieten Anlass zu sinnentleerter Auseinandersetzung, der Junge kaut Fingernägel. Erst viel später wird ihm vom Älteren die Trinkflasche angeboten werden, die er zunächst verweigern wird. Verlassen der Bank und Wiederkommen sind die Sätze des performativen Duos mit Continuo.

Musikalisch auch die Entwicklung des motivischen Materials. Hält der Ältere im Zwischenspiel seine Füße in ein Wasserschaff abseits, vollführt der Junge ein Fingerspiel auf der Bank. Beim nächsten Mal werden für das Schaff Papierschiffe gebastelt und auf der Bank Balanceakte vollführt. Wenn der Junge sein Spiegelspiel zum Höhepunkt als Bankmonster getrieben hat, ist verbale Kommunikation bereits eingetreten. Vorher kommt aus dem Publikum gefühlt mehr Laut als von den beiden Protagonisten in ihrer leisen Zeitlupen-Clownerie.

Der Ältere beginnt mit der Beschreibung seines Zustandes. Der Junge erläutert mit dem Tod seines Poesie-Freundes seine Flucht ins elternhäusliche Zimmer und von dort in den Park. Beider Lebensbeichte wird sich bis zum Punkt ihrer existentiellen Erschütterung verdichten.

Versagt der Ältere als Vater seines behinderten Sohnes, brennt im Jungen der Makel, einem gemobbten Mädchen, das seines hätte sein können, nicht geholfen zu haben. Deren Tod nagt beiden an der Seele und verbindet ihre Schicksale, ohne dass sie einander tatsächlich heilend näherkämen. Spintisiert der eine von Tod und Wiedergeburt, sucht der andere Ende und Neuanfang, indem er sich verkehrt verbeugt, wofür er gründlich ausgelacht wird. Damit hat Arturas Valudskis als Regisseur, Ausstatter und Dramaturg den Schluss wie die Inszenierung des Romans zum Bühnenspiel abstrahiert.

Das Toihaus feiert mit dieser Premiere nicht nur den Geburtstag des Regisseurs, sondern nach dem Kinderstück „Onigiri“ ein Programm zum Jubiläum 150 Jahre österreichisch-japanische Freundschaft. Wer könnte diese nicht beeindruckender personifizieren als Milena Michiko Flaṧar, 1980 in St. Pölten als Kind einer japanischen Mutter und eines österreichischen Vaters geboren. Beim Theaterfestival BIM BAM werden die Sandkünstlerin Yuko Tamura und die Musikerin Yoko Yagihara tätig sein und Ikebana, die japanische Kunst des Blumenarrangierens, wird in einem Projekt mit österreichischen Traditionen verschmelzen.

Weitere Vorstellungen am 22 und 23.2. sowie am 1.3. – www.toihaus.at
Bilder: Toihaus / Ela Grieshaber