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Ich lache, weil ich nicht sterbe

SCHAUSPIELHAUS / TYLL

19/09/19 Tyll, genannt Ulenspiegel, ist eine literarische Narrenfigur und Vorbild für den Protagonisten von Tyll, einer im Schauspielhaus inszenierten Dramatisierung von Daniel Kehlmanns 2017 erschienenem Roman Tyll. Kehlmann versetzt den Possenreißer in die Zeit des Dreißigjährigen Kriegs.

Von Franz Jäger-Waldau

Das 17. Jahrhundert ist eine Zeit des normalen Wahnsinns. Es erlaubt Leid neben Luxus, Totenköpfe neben Kreuzen und bunte Kirchen neben überfüllten Friedhöfen. Berufssoldaten, natürliche Zerstörer, unterscheidet vom Rest der Menschen nur ihre Erlaubnis zum Verbrechen, für die der Rest der Menschheit büßen muss. „Aber die Not hat kein Gesetz, sie liegt uns auf dem Hals“, schreibt 1646 Hans Heberle und fügt an: „Das ist die 23. Flucht.“ Was jemand von der Welt hält, der sie genau in diesen dreißig Jahren miterlebt hat? Ihr Wahnsinn sickert in die Menschen ein wie die Zeichen ihrer Zeit; als Pest, als Streit, als Magie.

Maya Fankes Inszenierung im Schauspielhaus Salzburg hat es mit einem Text zu tun, der sich seine literarische Stimme nicht nehmen lässt. Die Regisseurin entscheidet sich, diese Stimme direkt den Figuren als lange Monologe zuweisen, um eine Handlung darzustellen. Dabei erkennt sie aber die Gefahr, eine Erzählung einer Erzählung einer Erzählung zu werden. Sie stiehlt sich spieltechnisch meist schlau in den Text, wenn sie dabei auch manchmal Zeichen verdoppelt: „Der Brief sah zerknittert und fleckig aus“, sagt Liz, während sie den zerknitterten und fleckigen Brief ansieht. Aber die Dramatisierung vermittelt deutlich, was der Fall ist: ein feinmotorischer Text mit absichtlichen Leerstellen, der sich gerade deshalb wenige Brüche leisten kann. Maya Fanke nimmt den Text ernst, aber erlaubt ihm, über sich zu lachen. Sie hütet sich davor, an den Frequenzen von Daniel Kehlmanns Humor zu drehen, denn Tylls Humor spielt eine Rolle: Über seine Scherze lachen im Publikum nur ein paar Mutige, oder Irre, inmitten der Reihen der Betroffenen. Zweifellos macht ein guter Text eine Inszenierung besser. Eine Hilfe, die nicht leicht verdient werden muss - und die des Schauspielhauses tut dies. Das Bühnenbild repräsentiert die Epoche des Bruchs schlicht, aber scharf mit einer in ihrer Mitte durchschlagenen Wand. Es gibt keinen Ort zur Ruhe, die Figuren müssen auf Balken balancieren oder auf dem Blutroten Boden liegen. Die Kostüme wirken dagegen allerdings nicht immer konsequent, sie wechseln von halbhistorischem Realismus zu karnevalesker Fiktion.

Tylls Figuren machen sich das Leben schwerer, als es ist. Ihre Welt ist durchzogen von Ordnungen, die in einer Zeit des Chaos sich zu Netzen verspinnen. Der Müller beginnt sich zu fragen, wann ein Haufen aufhört, ein Haufen zu sein, wenn man ihm Korn um Korn entnimmt. Mit diesem Bild zweifelt er heimlich an dem höchsten metaphysischen Prinzip, an der Existenz des letzten Einen. Denn der Haufen hört vielleicht mit jedem Korn auf, Haufen zu sein. Ein Verbrechen, für das ihn zuletzt der Henker, der emphatischste Mensch des Stückes, richtet. Seine Ankläger sind nicht zufällig studierte „Drakontologen“, Drachenwissenschaftler. Drachen sind Meister der Tarnung und in Tylls Land wurde noch nie einer gefunden – „deswegen muss einer da sein“. Die Jesuiten heilen mit dem Blut der Tiere – ohne es zu besitzen: „Drachenblut ist eine Substanz von solcher Mächtigkeit, dass man des Stoffes selbst nicht bedürfe. Es reiche, dass der Stoff in der Welt sei.“ Der analytische Ungläubige wird mit platonischer Metaphysik bezwungen: Die Idee der Drachen ist so stark, dass sie auch materiell Existieren müssen.

Um Tyll, gespielt von Simon Jaritz-Rudle, kümmern sich der Text und die Inszenierung kaum. Weil der Irre, Tyll, allein sich aber nicht in der Irre verirrt, führt seine Figur durch das Geschehen. Eines Tages wirft Tyll fatalistisch alles hin und tanzt „ohne Schwere“, als hätte er nicht gerade alles verloren. Er wird zur Achse des Umkehrens, das Normale in den Wahnsinn, also der Wahnsinn ins Normale. Die chaotischen Ordnungen gelten für den Narren nicht, er genießt Narrenfreiheit, seine Welt und Lebensform ist der Zirkus, für ihn gilt: „Alles, was nicht Theater war, war falsch“. Im Krieg ist er nicht zufällig Mineur: Eine Einheit, die Mauern untergraben und sprengen soll. Die Brocken stoßen auf den Boden neben ihn, die Luft versiegt, ihn umhüllt die Dunkelheit und er lacht: „Warum lachst du?“ – „Ich lache, weil ich nicht sterbe.“

Vorstellungen bis 22.10.  - www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Jan Friese

 

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