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Nach der Schlacht beginnt das Schlachten

THOMAS BERNHARD INSTITUT / ANTIKE UND KLEIST

20/01/20 Die Antike war gut darin, unsterblich zu sein zu sein. Eine unheimliche Maschine, die seit 2500 Jahren funktioniert, ohne sich abzunutzen. Ihre Mechanismen werden nachgeahmt, ohne leerzulaufen. Regie- und Schauspielstudierende des Thomas Bernhard Instituts prüften das in vier Inszenierungen.

Von Franz Jäger-Waldau

Am Anfang der Frage „Was ist der Mensch“ war dort nicht das Wort, sondern die Worte, mit denen er sie stellen kann. Die Antike will ihn nicht bestimmen, den Menschen, sondern seine Stimmen anhören. Auch Heinrich von Kleist glaubt noch an ihre Unsterblichkeit und weiß, dass er sie deshalb nicht mit Vorsicht angreifen muss.

Nach der Schlacht beginnt das Schlachten. Und Hekabe (nach Euripides, inszeniert von Verena Holztrattner) hat das Pech, Königin der berühmtesten Verlierer der Geschichte zu sein. Nach dem Fall von Troja müssen die Götter – also wirklich die Menschen – mit dem noch übrigen Blut gestillt werden. Aber der antiken Tragödie ist etwas erlaubt, das der modernen verboten wird: Die eigenen leidenden Feinde bleiben Menschen, sie verdienen das Mitgefühl der Sieger. Deren Vergangenheit ist nicht heilig, sondern darf ihrer Geschichte dienen.

Im KunstQuartier sitzen Hekabe (Anna Stein) und der Rest ihrer Familie in einem weißen Nichts des Dazwischen, vielleicht dem der asphodelischen Felder, gefangen. Sie haben keinen Ort der Heimat, keine Macht und keine Freiheit mehr. Die Worte der sie verurteilenden Griechen sind nur von den Zuschauern auf einer Anzeigetafel abzulesen und für die Trojaner unhörbar. Nur Cassandra (Deborah Barbieri) zieht sie manchmal aus den Köpfen auf die Bühne. Eigentlich könnte Deborah Barbieri zweifellos ein Leben lang in die immer irrer werdende Figur eingewachsen sein. Mit ihr oszilliert Cassandra zwischen Stille und Schreien – und mit jedem Schrei verliert sie leider die Figur auch irgendwie wieder. Ihr Lärm bemächtigt sich oft der Stille der anderen und lässt ihre Worte in den eigenen Lauten ertrinken.

Überhaupt ist die antike Tragödie ein Problem für die Gegenwart. Einer Zeit, in der oft größtmögliches Leid zwischen zwei Snooze-Etappen zu finden ist, fällt es schwer, etwas mit den Leiden von anderen anzufangen. Aber Kleist findet das nicht. Er erzählt von einer anderen Feindin Griechenlands, der Amazone Penthesilea (Regie von Hannah Bader). Er stellt sich vor, wie Griechisch geklungen hätte, wenn es Deutsch gewesen wäre. Die Blankverse flattern irgendwo dazwischen, gleichzeitig unglaublich schön und ekelhaft: „An ihrer Jungfraun Spitze aufgepflanzt / Geschürzt, der Helmbusch wallt ihr von der Scheitel / Und seine Gold- und Purpurtroddeln regend / Zerstampft ihr Zelter unter ihr den Grund.“

Die Bühne bewältigt Kleists Stück mit einer Formation von beweglichen Blutportalen, von denen aus die Figuren (Salome Kießling, Christine Grant, Jannik Görger) zwischen Protagonisten und Chor wechseln. Die ständige dramatische Mauerschau erwartet von ihnen alle Kunst des Erzahlens. Ein seltenes Stottern der Körpersprache und Ausscheren ins Sentimentale wird vor allem von Christine Grant mit einem breiten Spektrum an Emotionen gegengelagert.

Für sein Experiment im Extremismus benutzt Kleist in Herrmannschlacht den Sieg der Germanen über den Feind Rom. Und er schafft es, darin irgendwie alle Dinge vorkommen zu lassen, die heute eher schlecht kommen. Es scheint zuerst ziemlich schwer, ein solches Stück ernst zu nehmen – aber auch zu leicht, es nicht ernst zu nehmen. Die Inszenierung (von Joachim Gottfried Goller) macht es sich leicht. Kaum auf den Stuhl gesetzt, stehen schon ein paar SchauspielerInnen nackt vor einem Haufen Gedärme auf der Bühne. Ab diesem Zeitpunkt beginnen vor allem die Älteren zu wetzen und durch die Nasen zu blasen. Es ist ein Lachen, das von Bedrohtheit zeugt und vor allem bei unangenehmen Worten wie „Führer“ oder „Deutsch“ aufkommt.

Das dekonstruktive Potenzial der Herrmannschlacht wird für eine Hand voll unsicherer Witze verkauft, die aber nur zu gerne aufgesogen werden. Subtile Stärken der Inszenierung, die Belichtung oder Edith Saldanha als Thusnelda, werden von den Nasen weggeblasen, was auch nur zur Hälfte die Inszenierung verschuldet.

Das Gegenteil schafft Ebru Tartıcı Borchers Elektra. Ein Zusammenschnitt aus antiken Texten (Sophokles voran) lässt die Kinder des von ihrer Mutter ermordeten Agamemnon zu Wort kommen. Auf dem bis in alle Ecken entgrenzten und einzig aus Leitern hergestellten Bühnenbild gibt es für sie keinen sicheren Boden. Die Inszenierung wird ernst genommen, weil sie selbst ihr Material ernst nimmt. Das bedeutet keine Einschränkung sondern erlaubt ihr sogar, dem Stück orientalische Formen wie türkische Lamentationen einzubauen, die über die Lippen von Raban Bieling und Alaa Dyab überraschend angemessen klingen.

Bilder: UniMoz / Sam Beklik

 

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