Wachsam. Nicht handlungsfähig. Niemals sicher.

DIGITAL SPRING FESTIVAL / STAND BY /  ABGESAGT!!!

10/02/20 Den Stand By-Knopf kennen wir alle: Das Gerät ist nicht ein- aber auch nicht richtig aus-geschaltet. Schläft es? Lauert es? Sammelt es heimlich Daten? Jedenfalls frisst es Strom auch noch im Dämmerschlaf... Stand By, Sinn- und Zerrbild unserer Gesellschaft, ist das Motto des dritten Medienkunstfestivals Digital Spring von 18. bis 21. März.

Von Heidemarie Klabacher

Was wäre, wenn euer Zuhause zu einem Ort werden würde, den ihr fürchtet?“ Ein irakischer Vater kehrt nach Falludscha zurück und setzt sich der Gefahr durch improvisierte Sprengkörper aus... „Home after war ist ein interaktives Virtual-Reality-Erlebnis, das euch nach Falludscha bringt – eine Stadt, die bis Ende 2016 unter der Kontrolle des Islamischen Staates stand. Der Krieg gegen den IS ist beendet, aber die Stadt ist immer noch nicht sicher...“ Home after war wurde entwickelt von Gayatri Parameswaran, einer preisgekrönten Journalistin aus Indien, „die daran glaubt, dass Geschichten Kraft zur Transformation innehaben“. Gayatri Parameswaran ist Mitbetreiberin eines Studios in Berlin, das sich auf Dokumentarfilme und sozialen Einfluss spezialisiert: „Ihre Arbeit beschäftigt sich mit Tabuthemen wie Krieg, Frieden, Gewalt in der Partnerschaft und Abtreibung. Am meisten begeistert sie sich dafür, Virtual Reality als Medium zu verwenden, um Realitäten für eine wünschenswerte Zukunft zu schaffen.“

Gayatri Parameswaran hat in dreißg Ländern gearbeitet (darunter Syrien, Irak, Türkei, Myanmar, Indien, Mexiko, Nicaragua oder die USA), ihre Werke werden bei namhaften Filmfestivals gezeigt, ihre journalistischen Berichte in internationalen Medien veröffentlicht. Ihr aktuelles Werk, Home after war, war Teil des Oculus VR for Good Creators Lab 2017 und bekam den Social Impact Media Award 2019 für das beste VR-Erlebnis und den Preis der Jury für Best Journalistic Achievement. Nun ist Gayatri Parameswaran genau mit dieser Arbeit in Salzburg vertreten – im Salzburger Kunstverein täglich von 12 bis 19 Uhrbei freiem Eintritt während des gesamten Digital Spring Festivals.

Ist den Leuten echt langweilig, werden Bild und Musik ‚scharf‘ gestellt. Steigt das Interesse, wird alles ‚unscharf‘. Ein Gehirnsensor gehört zur interaktiven Installation Boreout, die die Langeweile schon im Titel trägt. Bild und Ton pendeln zwischen ‚scharf‘ und ‚unscharf‘ und lassen die Besucher in einem ganz bestimmten Stand-by-Modus zurück. Wird damit künftig der Langeweile in Theater, Konzert oder Performace schon im Vorfeld begegnet? Vielleicht. Aber darum geht es nicht. Im Kunstraum Fünfzigzwanzig täglich von 13 bis 18 Uhr zu sehen ist Boreout, eine interaktive audiovisuelle Installation von Antoni Rayzhekov, die von der Langeweile beziehungsweise der Aufmerksamkeit der Gäste gesteuert wird: „Die Installation macht sich eine EEG-Gehirn-Computer-Schnittstelle zunutze, die mit einem elektronischen System verbunden ist, welches Gehirnströme misst und von Künstlicher Intelligenz unterstützt wird.“

Die Zuschauer kriegen einen Gehirnsensor. „Ist ihnen langweilig genug, werden das Bild und die Musik erkennbar und nehmen ihre ursprüngliche Form an. Dagegen werden Bild ud Musik ‚unscharf‘, wenn der Sensor Interesse erkennt. Daher pendeln Bild und Ton zwischen ‚scharfem‘ und ‚unscharfem‘ Zustand und lassen die Besucher in einem ganz bestimmten Stand-by-Modus zurück.“ Konzept, Programmierung, Sound und Motion-Graphics sind von Antoni Rayzhekov, einem in Wien ansässigen New Media-Künstler, der im Grenzbereich zwischen Kunst und Wissenschaft tätig ist. Seit 2012 ist er Gastdozent für Interaktive Medien / Experimentelle Medien an der Fachhochschule St. Pölten sowie seit 2017 Dozent für Digitale Kunst an der National Academy of Fine Arts in Sofia.

Die Lücke zwischen Mensch und Maschine schließt die niederländische Künstlerin Yu Zhang mit ihren interaktiven Mixed-Reality-Installationen und sensorgestützten Interaktionen. Mit Stand by/me konzentriere sich auf das Konzept des Stand-by als „Ausdruck eines technologischen Zustands zwischen Aktivität und Inaktivität“ und frage nach dem „gesellschaftlichen Zustand der Wachsamkeit trotz vollständiger Handlungsunfähigkeit“.

Das alle zwei Jahre veranstaltete Festival Digital Spring steht heuer unter dem Motto Stand By. „Diese Zustandsbeschreibung bezieht sich nicht nur auf den Bereitschafts-Modus elektronischer Geräte – nicht an, nicht aus, aber jederzeit bereit – sondern ruft auch gesellschaftspolitische Konnotationen und Fragen auf.“ Das Festival wird veranstaltet von ARGEkultur, subnet, der Salzburger Plattform für Medienkunst und experimentelle Technologien, sowie dem dem Zentrum für Human-Computer Interaction (HCI) der Universität Salzburg. Weitere Kooperationspartner sind der Salzburger Kunstverein, der Kunstraum Fünfzigzwanzig und FS1, das Freie Fernsehen Salzburg.  Martin Murer (HCI), Theresa Seraphin (ARGEkultur) und Marius Schebella (sunbet) präsentierten das Programm  heute Dienstag (10.3.). Insgesamt bringt das Festival „elf interdisziplinäre Arbeiten zwischen Installation und Performance, Interaktion und Langeweile, Diskurs und Immersion“. Letzters meint laut Duden das „Eintauchen in eine virtuelle Umgebung“, unter anderem aber auch den „Eintritt eines Himmelskörpers in den Schatten eines anderen“.

Salzburger Jugendliche haben ebenfalls einen Act im Digital Spring: Das Spiel Black Day wurde von Schülerinnen und Schülern der NMS Lehen gemeinsam mit den Medienkünstlern Sonja Prlic und Karl Zechenter sowie dem Medien- und Kulturpädagogen Iwan Pasuchin entwickelt: „Betritt mit uns ein Gruselhaus, entfliehe den heimtückischen Fallen einer irren Schule oder finde dich als Influencerin im Dschungel zwielichtiger Produkte zurecht...“ Niemand kann sich sicher fühlen, die Rollen zwischen Zuschauern und Spielern seien schnell einmal vertauscht...

Digital Spring Festival von 18. bis 21. März - ARGEkultur, Salzburger Kunstverein, Fünfzigzwanzig, HCI – www.argekultur.at – der Programmfolder zum Download
Bilder: Digital Spring / ARGEkultur; Gold Extra; Johannes Amersdorfer; Salzburger Kunstverein; Stephanie Müller, Klaus Erika Dietl