In die entgegengesetzte Richtung

UNIVERSITÄT MOZARTEUM / MEGA:STAGE

16/07/20 „Und als der Lockdown kam, ich hab mich sichtbarer gefühlt, die Menschen haben mir in die Augen geschaut, gelächelt, sich bedankt – ich weiß gar nicht, dabei haben wir im Prinzip das gemacht, was wir immer gemacht haben.“ Vor den Vorhang: Plätze, die sonst keine Bühne sind. Und Menschen, die durch Corona plötzlich „systemrelevant“ waren.

Von Heidemarie Klabacher

Verkäuferlehrling statt Maturant. „In die entgegengesetzte Richtung“, von der Altstadt nach Lehen, ist einst Thomas Bernhard gegangen, 1947 vom Gymnasium schnurstracks in die Gemischtwarenhandlung von Karl Podlaha in der Scherhauserfeldsiedlung. Bernhard hat die Kaufmannslehre tatsächlich abgeschlossen, dann aber noch ein wenig studiert - von 1955 bis 1957 an der damaligen „Hochschule“ Mozarteum .

In die gleiche Richtung wie der Namensgeber, also in die der „Hochkultur“ entgegengesetzte Richtung, gehen gut siebzig Jahre später die heutigen Studierenden des „Thomas Bernhard Institutes“, der Schauspiel- und Regie-Abteilung der Universität Mozarteum. Sie lassen die hochkulturellen Weihestätten hinter sich, wie weiland Thomas Bernhard, gehen statt dessen „in kleine Supermärkte, Läden, Dönerbuden oder auf Baustellen“.

Es sind die Studentinnen und Studenten des neuen Masterstudiengangs Applied Theatre, die mit dem Projekt MEGA:STAGE von 18. bis 25. Juli Salzburger Menschen und Orte in den Blick nehmen, die „durch den Corona-Lockdown plötzlich ins Scheinwerferlicht gerückt wurden“. Wer sind die Menschen, die plötzlich ‘systemrelevant’ sind? Wo sind deren Orte in der Stadt? Wie hat sich die Stadt verändert, in Zeiten von Corona? Das waren einige der Fragen.

Die Antwort-Versuche werden in Performances, Gesprächen und Führungen gehandelt im „Supermarkt der Geschichten“, in einem leerstehenden Geschäftslokal in der Linzer Gasse. Noch wird heftig saniert, ausgemalt, geputzt. In den Regalen dieses Mega:Store liegen werden insgesamt elf Projekte und drei „Sonderangebote“. Auch die Eintrittskarten zu den einzelnen Veranstaltungen sind ausschließlich im  „Supermarkt der Geschichten“ in der Linzer Gasse 72 erhältlich.

MEGA:STAGE sei nur aufgrund der aktuellen Lage – auch – zu einem „Covid-19 Projekt“ geworden, erzählt Christoph Lepschy, Professor für Dramaturgie am Thomas-Bernhard-Institut, im Gespräch mit DrehPunktKultur. Er habe, so Lepschy, zusammen mit der Regisseurin Christine Umpfenbach, „die mit solchen Stadtprojekten besonders viel Erfahrung hat“, die Studierenden betreut.

Ursprünglicher Ausgangspunkt war anlässlich des Hundert-Jahre-Jubiläums der Festspiele der berühmte Satz von der Stadt als Bühne. „Unser Grundgedanke: Das könnte auch aus aktueller Perspektive ein spannendes Motto sein“, so Christoph Lepschy. Welches sind heute Bühnen jenseits der Festspielorte? Welche Bedeutung hatte der Domplatz vor hundert Jahren, was hat sich in der Wahrnehmung solcher Plätze verändert? Wo sind heute die Brennpunkte, an denen sich gesellschaftliches Leben abspielt? Solche ursprünglichen Fragen sind in der Beschreibung der einzelnen Teilprojekte durchaus noch erkennbar. „Dann kam Corona. Mit einem Schlag war die Stadt leer, die Plätze und Gassen haben ganz anders angeschaut. Und alles sprach von Menschen, die plötzlich systemrelevant wurden.“

„Während des Lockdowns hieß es, stay at home.“ Schön und gut unter der Devise „Schöner Wohnen“. Aber wo bleiben, wenn es gar kein Zuhause gibt? Unter dem Projekttitel „Was braucht ein Mensch?“ etwa geht es um Obdachlosigkeit und Hunger, um ganz reale Armut jenseits aller Sozialromantik. Sommer für Sommer, heuer vielleicht etwas weniger, reisen Festspielgäste nach Salzburg und ziehen in Wohnungen und Häuser, die das restliche Jahr über leer stehen: „Gleichzeitig gibt es viele Menschen in Salzburg, die keinen Wohnraum haben oder keinen finden, weil sie sich die ständig steigenden Wohnkosten nicht leisten können.“ Bei einer Führung durch Linzer Gasse und Steingasse unter dem Titel „Wer bekommt Raum in Salzburg“ geht es um den gezielten Leerstand, der die Wohnungsnot verschärft. Ob die Corona-Zeit wirklich unser Zeitempfinden verändert hat, wird unter dem Titel „Zeit zum Reden“ stilvollerweise beim Uhrmacher diskutiert. Unter dem Titel „The Rest is Noise“ versucht eine weitere Gruppe von Studierenden dahinter zu kommen, „was klassische Musik eigentlich für einen Platz einnimmt in unserem gesellschaftlichen, politischen, mitteleuropäischen System“.

Wie kann man sich das Ganze vorstellen? Geben wird es, an unterschiedlichsten Orten, in Geschäften, auf Plätzen links und rechts der Salzach Gespräche mit Salzburgerinnen und Salzburgern, Stadtführungen oder „performte Szenen“. Hier lagen, erzählt Regieprofessor Christoph Lepschy, „Thema und Herausforderung“ zugleich: „Etwas zu entwickeln, das man überhaupt spielen darf unter den erschwerten Bedingungen, und Abstand halten, wenn es um Begegnung geht, das war nicht leicht.“

Dennoch hätten die Studierenden, immer ermuntert und angeleitet von Christine Umpfenbach, Salzburgerinnen und Salzburger als Gesprächs- und Projektpartner gefunden. Den Themen „Leerstand“ oder „Stadt als Museum“ begegne man, so Christoph Lepschy, in Salzburg ohnehin „auf jedem Schritt“. Ein weiterer logischer Schritt war „die Wahl eines leeren Ladenlokals als Ausgangspunkt“.

MEGA:STAGE salzburg. Geschichten von Orten und Menschen in Salzburg: Supermarkt Linzer Gasse 72 - Öffnungszeiten: 18., 19., 20., 21., 23., 24., und 25. Juli, 10 bis13 Uhr und 15 bis 18 Uhr – Zeitplan und Details - www.megastagesalzburg.com
Bilder: UniMoz / Ruth Kemna