Jugendliche Erregungen

KAMMERSPIELE / DIE MITTE DER WELT

09/02/22 Im Coming-out-Roman des schwulen Autors von 1998 erlebt Phil als Vierzehnjähriger auf einer Schiffsreise eine von seiner Mutter eingefädelte homosexuelle Affäre... Die Mitte der Welt des Romans von Andreas Steinhöfel spielt in der brillanten Bühnenfassung von Marco Dott in den Kammerspielen.

Von Erhard Petzel

Der Kenner des Steinhöfelschen Universums findet vertraute Fixsterne, deren kosmischer Kern jeweils aus einer speziellen Mutterfigur entsteht. Mutter Glass, gespielt von Genia Maria Karasek, wirkt nicht nur sehr jung für ihre 17-jährigen Zwillinge, hat sie diese doch schon als Teenager geboren, sie glänzt mit dem Mangel an haushälterischen Fähigkeiten und ist mit gutem Grund als Dorfhure verschrien.

Im Zentrum der Handlung steht Sohn Phil (Aaron Röll), der sich als schwul definiert. Im Coming-out-Roman des schwulen Autors von 1998 erlebt Phil als 14-Jähriger auf einer SchiffF-Fahrt eine von seiner Mutter eingefädelte homosexuelle Affäre. In der auf die wesentlichen Elemente gestrafften Bühnenfassung, Premiere war am Dienstag (8.2.), findet sich zu Beginn eine Anspielung in der projizierten Brandung des Meeres, die als Schluss einen Rahmen mit der Überfahrt nach Amerika vollenden wird.

Im Stück findet im neuen Mitschüler Nicholas (Skye MacDonald) nach dem Lauftraining in der Umkleide hinter Duschvorhang sein sexuelles Erweckungserlebnis. Nicholas ist zwar der aktive Teil bei der Anbahnung, gibt aber sonst nichts von sich preis. Gerade einmal sein Museum aus aufgesammelten Sachen, Missachtung treibt ihn an, zu den gesammelten Artefakten Geschichten zu erfinden, zeigt er seinem Sexpartner. Das Verhältnis zerbricht nach einem Seitensprung Nicholas' mit Phils bester Freundin Kat (Antonia Leichtle). Liebe? Vertrauen? Diese Wünsche mag Nicholas nicht erfüllen. Phil beendet die Beziehung. Eine Schneekugel aus der Sammlung fächert Nicholas’ Psyche nochmals auf....

Das Aussparen wesentlicher Handlungsstränge und Figuren aus der Buchfassung konzentriert den Fokus auf Phil als Hauptperson und sein wichtigstes Beziehungsumfeld. Auf ihre gebrochene Weise stark Zwillingsschwester Dianne (Elisabeth Mackner), im Gegensatz zum Bruder in einer Hassbeziehung zur Mutter. Sie ist in der Biologie bewandert und gilt im Dorf als Tierversteherin. Das bringt ihr nach einem Hundebiss eine Klage ein. Sie wird vom Freund der Mutter, Michael (Marco Dott), vertreten. Am Schluss wirf sie Phil in die Tragik ihrer seit Jahren künstlich belebten Liebe einweihen.

Musikeinlagen, Projektionen und elementare Bühnenarchitektur (Jan Hendrik Neidert) fördern das von Marco Dott klar und konzentriert inszenierte Spiel. Die Charaktere werden plastisch greifbar in ihrer diffus unbewältigten Individualität und ihren sozialen Verletzungen. Mythische Elemente wie die Verleumdung der Zwillinge als Hexenkinder bleiben anekdotisch, Phils innerlicher moralischer Schweinedrache dröhnt äußerlich als diabolische Stimme. Als dessen Gipsmaske bei einem ausgelassenen Ausflug des erotisierten Dreiergespanns zerbricht, ist das leider nicht sein Ende. Während die dargestellten Jugendlichen ihre Exzentrik und ausgelassenen Albereien virtuos über die Rampe bringen, muss Aaron Röll als Hauptfigur die Register bis zum rasenden Herzschmerz ausreizen.

Als Mitte der Welt ist die Bibliothek definiert, in der Nicholas aushilft. Sie ist Bezugsort für Phil. Die eigentliche Mitte wird hingegen im Menschen und seiner Selbstinszenierung zu suchen sein. Liebe, selbst wenn sie noch als starke Triebfeder wirksam ist, wird sprachlich ummantelt und funktionalisiert, was vermutlich ein glückliches oder wenigstens zwangloses Zusammengehen erschwert. Der im Programmfolder angebotene Ortswechsel als Ausbruch zur Selbstermächtigung ist vielleicht nicht wirksam. Der Abend umso mehr für das begeisterte Publikum, das nicht unbedingt jung sein muss. Doch möge Corona den Besuch durch Schulen nicht vereiteln.

Die Mitte der Welt – fünf weitere Vorstellungen bis 24. März - www.salzburger-landestheater.at
Bilder: LT/ Tobias Witzgall