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Polit-Kannibalen auf einer Vernissage

SCHAUSPIELHAUS / DAS FLOSS DER MEDUSA

17/02/22 Könnte es sein, dass selbst in der gepflegten Kulturszene in Wirklichkeit purer Kannibalismus herrscht nach dem Motto: Fressen oder gefressen werden? So platt geht’s die Regisseurin Susi Weber nicht an. Auch wenn sie und Ausstatterin Isabel Graf die Bühnenversion von Franzobels Roman Das Floß der Medusa in einer Gemäldegalerie ansiedeln.

Von Reinhard Kriechbaum

Solche Engführung wäre auch der Buchvorlage, die ihre Leserinnen und Leser mit nachgerade barocker Fabulierlust überrumpelt, keineswegs angemessen. Aber die Fallhöhe von nach außen zur Schau getragener Kultiviertheit in die tiefsten Abgründe bestialischen Verhaltens: Das lässt sich in diesem Ambiente gut anschaulich machen.

Wir sind also in einem Museumsraum. Er ist gemalten Seestücken und Seefahrts-Reliquien gewidmet. Eine Vernissage-Situation wohl, denn links und rechts stehen auf Tischen Getränke und Snacks bereit. Das Floß, roh zusammengezimmert aus den Brettern der an der Westküste Afrikas auf Grund gelaufenen Fregatte Medusa, ist das zentrale Schaustück. Kordeln weisen hin auf's Selbstverständliche in einem Museum: Berühren, gar Betreten des Schau-Stücks verboten! Das wäre auch im Jahr 1816 angeraten gewesen, aber es waren zu wenige Rettungsbote da. So landeten die Übriggebliebenen auf dem Floß. Ein Himmelfahrtskommando. Nur jeder Zehnte von ihnen hat die zweiwöchige Tortur bis zur Errettung überlebt. Aus kultivierten Bürgern der Grande Nation waren Kannibalen aus Überlebenstrieb geworden.

Einer von ihnen war der Schiffsarzt Savigny. Ein Anti-Royalist von Scheitel bis zur Sohle, politisch das erklärte Feindbild des feisten Kapitäns und seiner Clique, Vertretern des Ancient Regime. Die wahre Geschichte spielt in der Zeit unmittelbar nach Napoleons Fall. Mit Louis XVIII. war gerade die alte Ordnung wiederhergestellt worden. Vertreter unvereinbarer politischer Denkrichtungen waren da also auf einem Schiff und treffen jetzt, im Schauspielhaus Salzburg, bei einer Vernissage aufeinander. Sogleich geraten Savigny – Theo Helm gibt ihn als schwarz gekleideten, distanziert-besserwisserischen Intellektuellen – und der ordensdekorierte Kapitän (Antony Connor) aneinander. Schon dieser kleine erste Disput eskaliert in eine Mini-Schlacht am Kalten Buffet. Zwischen den politischen Streithanseln staksen der künftige Gouverneur des Senegal und seine Familie herum. Ein paar Seeleute stehen fürs einfach Volk und politisch dafür, was man mit der Revolution eigentlich hätte erreichen wollen.

Es brauchte gar keine Sandbank. Polit-Kannibalismus herrscht von der ersten Szene weg. Dieses Schiff und seine hoffnungslos zerstrittene, unversöhnliche Bessatzung wären so und so dem Untergang geweiht. Diese Leute, teils in historischen, teils in heutigen Kostümen, lässt Regisseurin Susi Weber von ihrer fatalen Seereise nach Senegal erzählen. Sie bringt viel Text aus Franzobels Roman unter. Die Sichtweisen prallen aufeinander und purzeln durcheinander. Es wird nicht alles auf Dialog getrimmt, auch auratische Textabschnitte kommen zu ihrem Recht, und das ist gut so. Die Theaterfrau weiß sehr gut, dass die enorm starke Imaginationskraft der Romanvorlage auf der Bühne nur verlieren kann. Ob eine Dramatisierung gerade dieses Romans sinnvoll ist, bleibt sowieso eine offene Frage. Ein praller, hoch emotionaler Theaterabend lässt sich allemal draus formen.

Das Spiel im Museums-Raum ist jedenfalls eine praktikable Lösung. Jeder im Publikum versteht, dass die Schau-Stücke und die Erzählungen hier nur einen Abklatsch der tatsächlichen Ereignisse vermitteln können. Man wird angeregt, sich die Sache auszumalen, und das ist wohl ganz in Franzobels Sinn.

Die Bild-Ikone der historischen Begebenheit, der sieben mal vier Meter große Monumentalschinken von Théodore Géricault aus dem Louvre, wird zuletzt quasi nachgestellt. Jene, die sich's nicht haben richten konnten in den Rettungsbooten, sind jetzt auf dem Floß. Wellenprojektionen und Stroboskopeffekte illustrieren ihre ausweglose Lage. Während die Schiffbrüchigen sich allmählich dazu durchringen, Menschenfleisch zu essen, tun sich die „Besseren“, die es sich haben richten können mit den Rettungsbooten, in Meterentfernung am Buffet gütlich und trinken Wein aus goldenen Pokalen. Man gönnt sich ja sonst nichts. Und man ist sich zumindest in einer Sache eins: Der Kannibalismus, der dort draußen auf offener See ausgebrochen ist, gehört mit allen Mitteln vertuscht.

Wenn alle die Vernissage, die emotional ziemlich aus dem Ruder gelaufen ist, verlassen haben werden, bleiben Kapitän und Schiffsarzt, die politischen Erz-Widersacher, allein übrig. Der Kapitän versucht's mit einem plumpen Bestechungsversuch und drückt Savigny ein dickes Bündel Geldscheine als Schweigegeld in die Hand. Hat nicht funktioniert, wie wir wissen.

Aufführungen bis 6. März – www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Jan Friese

 

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