Mutter Teresa auf Sexarbeits-Abwegen?

OFF THEATER / STEFAN ZWEIG

18/02/22 Lesen geht wahrscheinlich nicht mehr. Stefan Zweigs Novelle 24 Stunden im Leben einer Frau aus dem Jahr 1927 ist zumindest stilistisch aus der Zeit gekippt. Aber spielen, wenn man eine Schauspielerin wie Sarah Kattih auf der Bühne hat – unbedingt!

Von Reinhard Kriechbaum

Es geht ja um Gefühle, und die sind weniger veränderbar als literarische Moden. Der Plot der Zweig-Novelle: Eine Frau, verwitwet, alleinstehend, redet sich ein Erlebnis von der Seele, das ob seiner Heftigkeit imstande war, ihre Sicht aufs Ich und damit auf die Welt zu verändern. Eher beiläufig hat sie im Casino von Monte Carlo einen jungen Mann beobachtet, der alles verspielt hat und nun den Freitod sucht. Davor will sie ihn bewahren. Er hält sie zuerst für eine Kokotte, geht mit ihr auf ein Hotelzimmer. Die körperliche Begegnung hat zumindest mal aufschiebende Wirkung auf seinen Suizidwunsch. Sie aber, die sich im Hotelbett eher als eine Art Mutter Teresa auf Sexarbeits-Abwegen gesehen hat denn als eine Liebende, fühlt plötzlich ganz andere Gefühle in sich aufsteigen. Das Unglück ist vorhersehbar.

Sie richtet überhaupt nichts aus gegen seine Spielleidenschaft und wird von ihm verstoßen, verhöhnt. Er scheidet nach neuerlicher Pechsträhne am Roulettetisch dann doch aus dem Leben. Sie hat freilich in diesen vierundzwanzig Stunden enorm dazugelernt über die Unwägbarkeit – auch – des eigenen Verhaltens und der unkontrollierbaren Gefühle.

Bei Stefan Zweig schrammt das am Rande zum Kitsch entlang, wird in der näher an unsere Zeit gerückten Dramatisierung von Éric-Emmanuel Schmitt griffiger – und gewinnt in dieser Aufführung durch die famos sich in den Gefühlskosmos einlebende Schauspielerin Sarah Kattih an Authentizität. Als Österreichische Erstaufführung ist dieses Ein-Frau-Stück, das die deutsche Freelance-Schauspielerin Sarah Kattih mit dem Regisseur Claus Tröger erarbeitet hat, in diesen Tagen im Salzburger Off Theater zu sehen. Das ist ein guter Raum, denn die unmittelbare Nähe zur Schauspielrin lässt einem die Geschichte so recht unter die Haut gehen.

Sarah Kattih braucht nichts als einen Thonetstuhl und einen Kleiderständer mit ein paar Textilien, die sie dann doch nicht anzieht sondern nur eilends in die Tasche stopft, um in ein neues Leben aufzubrechen. Mit beachtlichem Charisma zieht die ihr Publikum hinein in die verquere Geschichte, deren unglückliches Ende gar nicht überraschend kommt, die aber doch so erzählt wird, dass man vom einen oder anderen Detail überrascht wird.

Es geht ums Psychogramm der Protagonistin, die emotional kontrolliert und doch mit überrumpelnder Leidenschaft von jenen psychischen Aggregatzuständen berichtet, die sich stark wandeln in den auf neunzig Minuten eingekochten 24 Stunden im Leben einer Frau. In ihrer Mimik lässt uns diese beeindruckende Darstellerin sehr deutlich das Ungesagte sehen, das dieser Frau im Moment vielleicht selbst gar nicht bewusst ist. Die emotionale Bindung, die sich da aufbaut zwischen Celia und dem spielsüchtigen Matteo, ist von ihr im Moment kaum willentlich zu beeinflussen. Es reißt sie mit, heraus aus der Sicherheit gesellschaftlicher Konvention. Das ist auch ein kathartischer Prozess, denn, wie es bei Zweig sinngemäß heißt: Im Gegensatz zu einem Baum, in den der Blitz fährt und der gefällt da liegt, lebt der Mensch weiter. Wenigstens um eine existenzielle Erfahrung reicher.

Aufführungen heute Freitag (18.2.) und am Samstag (19.2.) im Off Theater – www.off.theater
Bilder: www.claustroeger.eu / Silbersalz – fine art photography