Wert oder Leben

SCHAUSPIELHAUS / DIE LABORANTIN

01/02/23 Blutwerte, die über Ausbildung und Karriere entscheiden. Über die Chancen auf  Dating-Plattform und Heiratsmarkt. Ganz zu schweigen von leistbarer Krankenversicherung... In einer vielleicht gar nicht ganz fernen Zukunkft manipuliert Die Laborantin im gleichnamigen Stück von Ella Road die entscheidenden Werte.

Von Heidemarie Klabacher

„Low-Rater“ nennt man die minderwertigen, nur gerade noch nicht nicht „lebensunwert“ genannten Descheks einer Gesellschaft, deren Mitglieder sich bereitwillig manipulieren lassen und sich willig der totalen Kontrolle jeder einzelnen Lebensregung unterwerfen. In der Hoffnung, dazuzugehören. „High-Rater“ dind fein heraus. Bekommen die gute Ausbildung, die schöne Wohnung, den erstrebenswerten Partner. Und einschlagenden Fall natürlich „erbgesunde“ Kinder. Nazi-Diktion kommt nicht vor im Stück der englischen Theater- und Fernsautorin Ella Road. Aber sie schwingt mit. Damoklesschwert umso mehr, als viele Praktiken ja längst in der Realität angewandt werden. Das möglicherweise behinderte Kind im Bauch abtreiben, die elterlichen Gene auf Vordermann bringen und das Ganze nocheinmal probieren? Das steht als Möglichkeit für die Protagonistin, die Labortechnikerin Bea, tatsächlich im Raum.

Am Anfang sind es scheinbar ferner liegende Probleme: Als Bea erfährt, dass ihre Freundin die Erbkrankheit Chorea-Huntington hat und somit eine „Low-Raterin“ ärgster Sorte ist, lässt sie sich dazu überreden, deren Blutwerte zu fälschen. Das wird mit der Zeit ein gutes Geschäft, auf dessen Einkünfte sie bald nicht mehr verzichten kann. Denn Bea stammt, bei hervorragenden Blutwerten, aus mittelloser dysfunktionaler Familie. Und sie will ihrem High-Rate-Verlobten aus intellektuellem Adel wenigstens ein wenig Reichtum entgegensetzen. Dass Aron den Namen der – wie sich herausstellen wird schwer erbbelasteten – Dichterfamilie Tennyson trägt, ist ein Schnörksel, der inhaltlich nichts, atmosphärisch aber sehr viel bringt. Es klingen andere Werte an. Es werden auch ein paar Gedichtzeilen zitiert.

Neben Magdalena Oettl als Bea und Enrico Riethmüller als Aaron, spielen Sophia Fischbacher die Freundin Char, die Bea in ihren ersten Betrug hineinreitet, und Pit-Jan Lößer den Hausmeister David, der auf das ganze Gen-Zeug pfeift, und mit seiner Frau seit dreißig Jahren ein glückliches „normales“ Leben führt.

Viel Inhalt jetzt, wenig Deutung. Es gibt aber auch nichts zu deuten oder zu analysieren in Ella Roads Stück. Es werden reale Bedrohungen, Krisen, Sorgen abgehandelt. Aktualtätstheater, das die Regisseurin Petra Schönwald dennoch virtuos schlicht und klug zurückhaltend auf die karge Bühne von Theresa Scheitzenhammer bringt.Tatsächlich „packte“ die Produktion, DrehPunktKultur besuchte die Generalprobe, von den ersten Dialogen an. Gespannt folgt man den immer heikler werdenden Machenschaften und Verstrickungen der durchaus sympathischen, da wohlmeinenden Laborantin. Noch gespannter folgt man den immer dramatischer werdenden Entwicklungen in den höchst-persönlichen Belangen des zunächst so erfolgreich da stehenden High-Rater-Paares aus der High-Society einer Gesellschaft, die es soo hoffentlich noch lange nicht geben wird. Nicht nur für Schulklassen spannend!

Die Laborantin – Aufführungen bis 8. März im Studio des Schauspielhauses – www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: SSH / Jan Friese