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Shitstorm und mediale Hinrichtung

SCHAUSPIELHAUS / HEINRICH BÖLL

24/03/23 Stellen wir uns mal nicht Katharina Blum, also eine junge weiße Frau vor. Eine alleinstehende Frau migrantischer Herkunft vielleicht, gar dunkler Hautfarbe. Es würde ihr heutzutage nicht besser ergehen bei der Polizeivernehmung als der Hauptfigur in Heinrich Bölls Erzählung Die verlorene Ehre der Katharina Blum.

Von Reinhard Kriechbaum

1974, als das Buch herauskam, wurde es ganz schnell zur Schul-Lektüre. Hochaktuell war der Baader-Meinhof-Terror. Aber als angelernter Achtundsechziger hat man die Geschichte damals logischerweise mit jener Sympathie für die Titelfigur und mit der gebotenen Entrüstung gegenüber dem „Establishment“ gelesen, wie eben Heinrich Böll dies sehr geschickt indizierte. Ein halbes Jahrhundert später bestätigt sich, dass Böll archetypische, mithin unausrottbare Verhaltensweisen beschrieben hat. Soziale Medien hätte sich Böll in seinen kühnsten Träumen nicht ausdenken können.

Wie öffentliche Vorverurteilung heutzutage funktioniert, lässt das, was über Katharina Blum in der ZEITUNG (Böll meinte die Springer-Boulevardpresse, voran die Bild-Zeitung) geschrieben steht, blass aussehen. Katharina Blum erlebt als völlig Unschuldige ihre öffentlich-mediale Hinrichtung. Sie wird geradezu hineingedrängt in die Rolle der Mörderin jenes Reporters, der sich seine Stories für ein sensationsgieriges Publikum zusammengereimt hat. Wie könnte die Reaktion einer heutigen Katharina Blum aussehen? Zur Amokläuferin müsste sie wohl werden, aber die Shitstorm-Gesellschaft, weitgehend virtuell und anonym, taugt nicht als Ziel dafür.

Man braucht also Die verlorene Ehre der Katharina Blum nicht zu aktualisieren, und das tut Tabea Baumann, Regisseurin der Aufführung im Studio des Schauspielhauses Salzburg, auch nicht. Die Bühnenfassung von John von Düffel ist personenmäßig eingekocht und auch noch im Sprechtempo verdichtet. Johanna Klaushofer ist Katharina Blum, über die Böll schreibt, sie sei „eine sehr kluge und kühle Person“. Mit zusammengekniffenen Lippen hört sie die Vorhaltungen der Beamten bei der Vernehmung, kontert ruhig und überlegt, während rund um sie das aus losen Platten gefügte Bühnenbild (Eric Droin) sich nach und nach auflöst. Die Gegenspieler ziehen Platte um Platte weg, von den Wänden, vom Boden, so wie Katharina Blum eben sprichwörtlich den Boden unter den Füßen verliert. Der vermeintliche Rechtsstaat entpuppt sich als Kulisse. Heftig und verzweifelt ihr vergebliches Aufbegehren.

Sophia Fischbacher und Christine Tielkes schlüpfen in Männer- und Frauenrollen. Das gelingt nicht ohne Übertreibung, führt bisweilen in bizarre Überzeichnung, aber das verstärkt auch das Gefühl des Ausgesetzt-Seins, in dem sich Katharina Blum befindet.Dass die vernehmenden Polizisten Frauen sind, rückt die Geschichte weg von der Gender-Schematik. Diese „Katharina“ könnte heutzutage auch ein männlicher Afghane oder Somalier sein...

Auch Simon Jaritz-Rudle hat eine Doppelrolle. Er ist der abgrund-fiese Journalist Tötges, der „nur Fragen stellt“, und auch der Industrielle Sträubleder, der mit seinen ungebetenen (und von Katharina unerhörten) Nachstellungen die Fantasie der Nachbarn in Sachen „Herrenbesuche“ beflügelt hat.

Hoffentlich sehen viele junge Menschen diese rasante, dichte, spannende Aufführung. Der Bezug zum Heute sollte sie anspringen. Es gilt, was Marcel Reich-Ranicki bei Erscheinen über den Autor und die Erzählung schrieb: Er „traf und trifft die deutsche Gegenwart mitten ins Herz“. Nicht nur die deutsche und nicht nur die Gegenwart...

Aufführungen bis 5. Mai – www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Jan Friese

 

 

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