Der Stolz des Staates: ein leeres Herz

SCHAUSPIELHAUS / ANTIGONE

18/09/23 Das sonnenkönigliche „L'etat, c'est moi“ hat König Kreon in mannigfachen Varianten drauf, quasi in Endlosschleife. Hat er doch schon bei seinem ersten Auftritt ein Mikro geschnappt und hinein gehaucht, wie devot und selbstlos er, der nie und nimmer habe Führer der Thebaner werden wollen, die Staatslenkerei anzugehen im Begriff sei.

Von Reinhard Kriechbaum

Michael Köhlmeier ist seit je her ein starker Erzähler antiker Stoffe. Wie er Figur um Figur aus den Sagen des klassischen Altertums in ihren Befindlichkeiten heutigen Lesern und ORF-Radiohörern nahe brachte, hat ihn als Meister der angewandten Philologie ab Mitte der 1990er Jahre so recht bekannt gemacht. Weil es Köhlmeier ja immer um den im Heute wesentlichen Kern geht, ist aus der Antigone ein theatrales Epos geworden, das eigentlich Kreon heißen müsste.

Der Theben-König ist ein Musterbeispiel für einen Machtmenschen, der virtuos auf der Medienorgel spielt. Das Volk interessiert ihn keinen Deut, die öffentliche Meinung über sich selbst dafür umso mehr. Bei Köhlmeier hat dieser Kreon folglich keinen Antikenchor um sich, sondern drei Meinungsverbreiter.

In der Inszenierung von Robert Pienz sind das grell-parodistisch gezeichnete Figuren, die so gut wie omnipräsent mit gezücktem Notizblock um ihren König wuseln. Wünsche und Formulierungen lesen sie ihm von den Lippen ab. „Wir denken nicht, wir berichten nur“, sagt einer von ihnen wie zur Entschuldigung dafür, dass sie sich gar so bereitwillig als berufsmäßige Buchstaben-Handlanger in Dienst nehmen lassen. Dabei wären Eins, Zwei und Drei (für einen eigenen Namen reicht es nicht) durchaus eigene Köpfe. Einer sieht sich als Poet, einer als reiner Fakten-Aufzähler, der dritte als Historiker mt weiterer Perspektive.

Als manipulierte Manipulatoren der öffentlichen Meinung übermittelt dieses burleske Trio (Rene Eichinger, Michael Zehentner, Michael Graf) nicht nur die hier gerade bühnenaktuelle Antigone/Kreon-Story, sondern schafft auch Bezüge zu größeren Sagen-Zusammenhängen. Das ist dramaturgisch raffiniert gemacht. Jüngeres Publikum bringt ja eine humanistische Grundbildung, wie sie der Autor einst mitbekommen hat, eher nicht mehr mit. Köhlmeier weiß, womit er nicht rechnen darf auf Zuschauerseite.

König Kreon also. In Schauspielhaus gibt ihm Olaf Salzer Figur und Kontur. Er hat Antworten parat, schönfärberische, ausweichende, gelegentlich auch unverschämt wahrhaftige, noch bevor überhaupt die Fragen gestellt sind. Selbst eine wie Antigone (Magdalena Lermer), die „hinter jedes Wort ein Fragezeichen setzt“ (wie Ismene/Johanna Egger ihr vorwirft) steht da auf verlorenem Posten. Kreon trägt ein Lächeln vor sich her wie eine Maske. Milde, herablassend, ironisch, sein Gegenüber zutiefst verachtend – wer wollte dieses einnehmende Pokerface deuten? Ein Muster-Populist, „Erbarmen ist Luxus, und die Gerechtigkeit auch“, sagt er, der sich „für den Inhalt der Herzen nicht zuständig“ fühlt. „Der Stolz des Staates: ein leeres Herz“ doziert dieser Despot. Ist er so, weil er eigentlich Angst haben muss, vor Antigone und vor dem Volk? „Ich bin auf der Hut, weil ich der Hüter des Staates bin“, klingelt er wortspielerisch. Dieser Staat ist er und er ist der Staat, und der „ist stark nur, wenn er sich keine Schwäche erlaubt“. Dem Vorwurf Eigensinn kontert Kreon mit Durchhaltevermögen, Starrsinn wird flugs als Geradlinigkeit schöngefärbt, und so geht das zweieinviertel Stunden lang pausenlos dahin. „In Zeiten der Krise gibt es nur heiß oder kalt“ – wir sind mitten drin in der politisch vorangetriebenen Polarisierung und damit buchstäblich im Credo heutiger Populisten.

Das wird bei Köhlmeier und in Robert Pienz' Inszenierung ohne jedes Dekor abgehandelt, buchstäblich eben. Bühnenbildnerin Ragna Heiny stellt nichts als ein quadratisches Podium bereit. Wie aus Sanduhren bröseln feine Strahlen permanent auf diese schmucklose, aber raffiniert-stimmungsvoll beleuchtete Spielfläche. Das ist Anspielung auf jenen Sand, den Antigone wider den Erlass des Königs auf ihren toten Bruder Polyneikes gestreut hat, wofür sie nun mit dem Tod büßen soll. Zugleich ist es als Sanduhr-Metapher zu lesen, dass auch Kreons Ende unabwendbar sein wird.

Der blinde Seher Teiresias (Isabella Wolf hat da einen starken Auftritt) steht ja quasi in den Startlöchern, und auch Antigone hat Kreon gegenüber gesagt, dass die Zeit „so aufgeladen ist, wie die Wolken, bevor sie ihre Blitze entladen“.

Ja, eine heutige aufgeladene Zeit, die zu beschreiben Köhlmeier in diesem Theatertext Wortbilder erfindet, die gleich mehrere Zutaten-Schatzkästchen füllen könnten. Was tun? Stark auftreten gegen Demagogen und Populisten à la Kreon? Es braucht jedenfalls mehr Antigones und weniger Unentschiedene oder Vorsichtige, denn „Andeutung ist die Deutung der Lügner und Feiglinge“, sagt Kreon. Kommt auch in besagtes Schatzkästchen.

Aufführungen bis 21. Oktober im Schauspielhaus Salzburg – www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Ernst Wukits