Engelsblutauffrischung

LANDESTHEATER / HIMMEL ÜBER BERLIN

22/11/10 "Hier spielt das Leben" - sorry, das war das Werbemotto des alten Intendanten im Salzburger Landestheater. Mit "Himmel über Berlin", der sich über Salzburger Erde wölbt, löst Carl Philip von Maldeghem aber den Wahlspruch seines Vorgängers voll ein.

Von Reinhard Kriechbaum

altEs wimmelt nur so von (Salzburger) Menschen auf der Bühne. So sehr, dass die Geschichte beinahe auf der Strecke bleibt. Jedenfalls hat man, wenn man nach gut einer Stunde in die Pause geht, noch nicht den Eindruck, dass eine solche begonnen habe. Dafür hat man bis dahin ein Theater gesehen, das dem Volk aufs Maul schaut und die Ergebnisse einer Geschichtensuche vor Ort mit ordentlichem Theaterhandwerk auf die Bühne bringt. So realistisch dies alles ist - es hat auch ein bisserl Vision, ein wenig Magie. Und das ist gut und wichtig bei so viel lokaler Erdung.

"Himmel über Berlin" - das war 1987 ein erfolgreicher Film von Wim Wenders. Die Welt der Engel ist heil, aber schwarzweiß. Das pralle, farbige Leben spielt sich drunten ab - aber die Engel Cassiel und Damiel sind eben nur himmlische Buchhalter (im besten Fall Schutzengel), eine Art sakraler FBI. Wofür die Engel altDaten sammeln, wissen sie selbst nicht so genau. Aber sie sind dem Chef treu - bis auf einen: Damiel hat ein Auge auf die Zirkusartistin Marion geworfen. Und der zuliebe verzichtet er fürderhin auf die englische Wesens- und Engelsart. Kaffee riechen, schmecken und sich am Pappbecher die Finger verbrennen können, sich den Kopf anhauen und Schmerz zu empfinden, gar zu bluten: Das ist auch was wert. "Lieber lügen wie gedruckt als in Ewigkeit Amen sagen". Und dann noch Marion …

Ein wenig poetischer, geheimnisvoller hat man den Film in Erinnerung, als man die Geschichte jetzt (als deutschsprachige Erstaufführung) im Theater erlebt. Aber das liegt wohl auch an der Salzburger Erdnähe. Es sind ja viele Geschichten - Lyrik und Prosa - eingesandt worden. Die zur Produktion erschienene Broschüre "Himmel über Salzburg" ist immerhin 124 Seiten stark. Da ist der Text von Wim Wenders und Peter Handke in der Gewichtung nicht mehr so stark. Im Prinzip läuft es auf ein Märchen mit schlichter Botschaft hinaus: altWer etwas Neues erfahren will, muss Gewohntes, Gesichertes aufgeben. Das schafft Verunsicherung, Schmerz. Das Downgrade auf Mensch will von einem auf Ewigkeit pragmatisierten Engel lang überlegt werden. "Wenn ihr nicht werdet wie Kinder", heißt es schon in der Bibel, und bei Handke: "Als das Kind Kind war … erschienen ihm viele Menschern schön, und jetzt nur noch im Glücksfall …"

Dass Christoph Wieschke und Shantia Ullmann das (künftige) Paar Damiel und Marion spielen, hat Witz und tiefere Bedeutung; die beiden waren am Anfang der Intendantenzeit Maldeghem Faust und Gretchen. Auch für "Himmel über Berlin" hat Maldeghem Regie geführt. Wenn die Menschen, die Salzburger kommen, dann tun sie das schnell, sie liefern ihre Geschichten stenogrammartig ab. Das tut der Sache gut, macht nicht aus literarischen Mücken gewichtige Bühnen-Elefanten. Da steckt sogfältige dramaturgische Vorarbeit (Bühnenfassung: Carl Philip von Maldeghem, Dramaturgie: Bettina Oberender) drin und ein Gespür dafür, dass man es mit der lokalen Rückbindung bei allem Ehrgeiz auch nicht übertreiben sollte. Das ist die Stärke der Aufführung.

Filmisches Schwarzweiß geht natürlich nicht, aber immerhin sind die Engel schwarz (manchmal haben sie ansehnliche weiße  Federschwingen); das Volk ist natürlich so bunt wie nur. Die Bühne von Court Watson lässt offen,alt ob man sich in einer seelischen Half-Pipe oder am Salzachufer, in einer Stadt oder im (N)irgendwo befindet. Weil Marion Zirkusartistin ist, kommt auch das circensische Element nicht zu kurz (Artistiktrainer Ulf Kirschhofer, wer sonst?). Zur hintergründigen Poesie von Winterfest-Produktionen fehlt es dann schon noch ein gutes Stück.

Christ Lohner spielt eine TV-Moderatorin, sich selbst und eben den bereits früher privatisierten Engel, der dem absprungbereiten Damiel wertvolle Lebens-Tipps gibt. Werner Friedl als alter Weiser ist eine Kreuzung aus Homer und "Professor" (der schräge Sandler-Typ, der den Mönchsberg bewohnte und angeblich ein rechter Philosoph war, jedenfalls einer der wenigen Salzburger mit Charisma). Das Ensemble sonst (Aris Sas, Kurt Schrepfer, Tim Oberließen, Anja Clementi, Maria Gruber, Ulrike Walther, Lisa Müller-Trede) macht je nach Bedarf auf Jung und Alt. Kinder tummeln sich auch auf der Bühne und wirken ganz ungezwungen. Peter Marton ist Cassiel, der zweite Engel, die Stimme der Vernunft und Beständigkeit im Duo der Flügelwesen.

Vielleicht wachen ja sogar im Himmel über Salzburg Engel. Vielleicht schauen sie auch mal ins Landestheater und vergleichen mit dem Leben draußen. Möglicherweise entschließt sich trotzdem mal einer zur Landung gerade hier. Urbane Engelsblutauffrischung täte nicht schaden.

Aufführungen bis 18.2.1011 - www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Christian Schneider