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Lügen in Zeiten der Integration

LANDESTHEATER / HAVANA COCKTAIL BAR / DRECK

19/05/11 Wie lange muss man Zuwanderern vorsagen, dass sie nichts wert, dass sie "minderwertig" sind, bis sie es selbst glauben? In Robert Schneiders Einakter „Dreck“ holt einer von ihnen zu einem großen Monolog aus und seine rhetorische Kolonisation schonungslos vor.

Von Harald Gschwandtner

altDass Robert Schneider neben und nach „Schlafes Bruder“ nicht nur Romane von zweifelhafter Qualität veröffentlicht hat, sondern seine Dramen in den neunziger Jahren durchaus gefeiert und ausgezeichnet wurden, ist etwas in Vergessenheit geraten. Im Einpersonenstück „Dreck“ (Uraufführung 1993) tritt jene radikal gesellschaftskritische Stimme des Autors prägnant hervor, die in seinen zum Mythischen und Phantastischen tendierenden Prosatexten oft etwas isoliert gewirkt hatte.

Der Migrant Sad ist Rosenverkäufer – und er ist illegal hier, wie er betont. Berichtet er anfangs noch von seiner Familie, von Frau und Kind, die er zurückgelassen hat, wird schnell klar, dass seine Beteuerungen, es gehe ihm gut, nur Fassade sind. Um sich in der unwirtlichen Umgebung weniger ausgegrenzt, weniger fremd zu fühlen, hat Sad nicht nur deren Sprache übernommen, sondern auch die Inhalte. Er sei sich bewusst, dass er als Araber einer ‚niedrigeren Entwicklungsstufe‘ angehöre, dass er stinke und lüge, dass er die strengen Richtlinien der altAsylgesetzgebung nicht erfülle. Eben deshalb sei er ein "Illegaler". "Das Boot ist voll!", schreit er seinen Zuhörern ebenso zu wie sich selbst. Immer mehr steigert sich sein Sprechen zu einer regelrechten rhetorischen Autoaggression.

Wahrheit und Lüge, Schilderung und Stilisierung laufen ineinander, denn Sad kann man als Erzähler nicht wirklich trauen. Gerade das macht den Reiz dieses Stücks aus, das in seiner subtilen Rhythmik durchaus etwas Musikalisches hat. Doch scheinen immer wieder auch Schwächen dieser "Komposition" durch: Formal wie inhaltlich scheitert Schneider mitunter daran, dass er zu viele Aspekte, Stimmen und Stereotypen eines rassistischen Sprechens zusammenspannen will und sein Stück unnötig überfrachtet.

Dabei will "Dreck" kein naturalistisches Porträt eines Migranten sein. Gerade die Übertreibung macht die hässliche Fratze der Ausländerfrage und des von politischer Seite so gerne eingeforderten Integrationswillens sichtbar: altIst Sad nun gut integriert, wo er doch den xenophobischen Diskurs brav übernommen, den Fremden- in Selbsthass übersetzt hat? Was heißt es, wenn ein Mensch "illegal" ist und was bedeutet das für seine Würde?

Wirkt Schneiders Werk sonst oft seltsam anachronistisch, zeigt sich „Dreck“ hier so hell- wie weitsichtig für gesellschaftliche Verwerfung. Indem Sads Monolog zwischen Bühnensprache, Stammtischslang und pseudosozialwissenschaftlichen Partikeln changiert, werden die fremdenfeindlichen Zuschreibungspraktiken in ihren fatalen Auswirkungen nur allzu deutlich. Angesichts globaler wie nationaler Tendenzen präsentiert sich das knapp siebzigminütige Monodrama bedrückend heutig.

Peter Marton weiß diesen von Sehnsüchten nach Distinktion wie Integration gleichermaßen Getriebenen plausibel und eindrücklich darzustellen. Von seinem Arbeitgeber als illegaler Einwanderer rücksichtslos ausgenützt und von der Gesellschaft stigmatisiert, sind Sad nur kurze Augenblicke einer verschämten Fröhlichkeit gegeben – gerade hier kann Marton seine Klasse ausspielen.

Das Landestheater ist für „Dreck“ in die Cocktailbar Havana in der Priesterhausgasse übersiedelt, der Erzählraum ist für den Rosenverkäufer also gewissermaßen auch der erzählte Raum. Das schafft eine Unmittelbarkeit des Spiels, lässt aber gleichzeitig die Künstlichkeit dieses Monologs, der eben nicht von der Bühne herab gesprochen wird, sondern wie in eine Alltagssituation eingebettet erscheint, noch deutlicher hervortreten. Regisseurin Tessa Theodorakopoulos weiß die etwas statische Textgrundlage klug zu dynamisieren und sie versteht es, die engen Grenzen der Örtlichkeit geschickt zu nutzen.

Gesellschaftspolitisch zweifellos hoch brisant, in seiner Radikalität oft auch verstörend, kompositorisch und im Detail freilich zum Teil unausgegoren, so präsentiert sich Schneiders "Dreck". Der lang anhaltende Applaus galt wohl vor allem – und ganz zurecht! – der überzeugenden schauspielerischen Umsetzung.

Aufführungen bis 9. Juni - www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Christina Canaval

 

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