Robin Hood der Stotterer

LANDESTHEATER / THE KING’S SPEECH

03/03/14 Ein König ist in der Regel höchster Souverän seines Landes, ein monarchischer Würdenträger, bestimmt durch die Gnade Gottes, ausgestattet mit dem passenden Gesicht für eine Goldmünze und einem festen Knieschluss beim Reiten. Aber all das war einmal. In der Bühnenversion des weltweit bekannten und Oscar prämiierten Films „The King´s Speech“ wird vom König mehr verlangt.

Von Oliwia Blender

463Der König muss nun auch rhetorische Fähigkeiten mitbringen und zu seinem Volk sprechen - in live Übertragung und ohne Störungen im Redefluss. Wenn da nur nicht das Problem mit dem Stottern wäre... Um das abzulegen, muss er einen sehr unkonventionellen und un-royalen Weg einschlagen, allen Mut zusammennehmen und zur eigenen Identität bekennen.

Das Schauspiel von David Seidler hatte am Freitag (28.2.) in der Inszenierung von Volkmar Kamm seine Premiere im Landestheater - eine Produktion bestens geeignet für ein Publikum, welches auf reines Vergnügen hofft.

Selbstbewusst und heroisch soll Tim Oberließen als Albert, König wider Wille, auftreten: Der Thronanwärter, Bruder David, dankt für ein Leben an der Seite seiner zwei Mal geschiedenen und als Königin daher denkbar unpassenden Herzdame“ als Erstgeborener und Erbfolger ab. Er zwingt damit den kleinen Bruder Berti in die Rolle des zukünftigen Königs George VI. von England.

458Eine Rolle, die er anfangs gegen seinen Willen ausfüllen will, denn zu seinem Leidwesen sind die Aufgaben einer Königsfamilie die einer Firma: Es zählt das Image, die Führungskraft und der Gewinn. Berti aber fühlt sich gefangen in seinem Körper und behindert. Er möchte nicht gesehen und gehört werden. Obwohl man in seiner Kindheit sowohl seine O-Beine mit Stahlschienen gerade biegen konnte, als auch seine Linkshändigkeit auf rechts „normiert“ hatte, so endete doch jegliche Therapie um seine Redestörung zu korrigieren, im Misserfolg.

Hinter jedem großem Mann steht eine starke Frau: Berties Ehefrau Elizabeth (sehr überzeugend gespielt von der Schauspielstudentin Sofie Gross) verhilft ihm zu einer sehr untypischen, aber erfolgreichen Therapie. Der exzentrische (und selbsternannte) Sprachtherapeut Lionel Logue übt mit dem Monarchen Zungenbrecher und richtiges Atmen, Singen und das sich Blamieren können. Genau, wie man es vom Yoga und vom Schauspielunterricht kennt - und genau das, womit man die Zuschauer erfolgreich zur sichtbaren und hörbaren Schadenfreude antreibt. Auch die cholerischen und Tourette-artigen Ausfälle Berties erfüllen ihren Zweck und heben die Stimmung. Man staunt, wie sehr sich das Publikum über Fäkalsprache auf der Bühne amüsieren kann.

461Lionel steckt viel Herz in die Therapie und stärkt das Selbstbewusstsein des zukünftigen Königs. Durch seine ehrliche Freundschaft vermindert er dessen Nervosität und Angst vor Zuhörern. Und was noch viel wichtiger erscheint: Er schenkt ihm einen Einblick in die Denkweisen gewöhnlicher Sterblicher, lehrt ihn Ungehorsam und lockert für wenige Stunden das „königliche Korsett“.

Regisseur Volkmar Kamm teilt den Fokus, wie auch den Raum der Inszenierung, mit Hilfe des Bühnenbildes, das Konrad Kulke zu verdanken ist. Die Darstellung des Vereinigen Königreiches bleibt abstrakt. Der Buckingham Palace, sozusagen der Spielplatz der Monarchie, wie auch der Raum für die Seilschaftenbildung von Erzbischof Cosmo Lang, Churchill oder Baldwin. Hier dominiert kalkulierter Kitsch: Die übersteigerte Dimension der britischen Flagge, wie auch das monumentale Kreuz, der Thron in Übergröße und die Stereotypisierung und Bildhaftigkeit der Figuren, verfolgen einen ästhetischen Plan.

460Das Dreier Gespann aus Bischof, Premierminister und Schatzkanzler, überzeugend besetzt mit Christoph Wieschke, Axel Meinhardt und Gero Nievelstein, bringt eine eigene Dynamik mit zusätzlicher Erzählperspektive ein. Es bereichert die Geschichte um historisches und strategisches Hintergrundwissen zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs – aber zum Intrigenwerk am englischen Hofe.

Dazu im Kontrast steht die realistische Darstellung des Behandlungszimmer des Sprachlehrers Lionel: Da pfeift der Wasserkocher, es werden Tee und Whiskey getrunken, Musik wird abgespielt und Bücher werden eingepackt. Die Darstellung des „einfachen“ Lebens wird nur vom überzeichneten Therapeuten selbst durchbrochen. Marco Dott spielt Comedy mit vollem Körper- und Stimmeinsatz - aber nur in der Rolle des Therapeuten. Beim Vorsprechen wirkt er klein und verloren. Auch neben seiner Frau Myrtle (Britta Bayer) gibt er sich beständig und die Paarkombination ist harmonisch.

462Obwohl jede Nebenfigur eine eigene starke Präsenz auf der Bühne einnimmt, dominiert meist das ungleiche Paar Lionel und Berti. Aber auch deren Verhältnis rückt in den Hintergrund, wenn Elizabeth neben Albert die Bühne betritt: Das Liebespaar spielt eine eigene, fast schon autonome Geschichte. Der Regisseur vermeidet somit die Reduzierung auf eine einfältige „Aufopferungsrolle“ der Ehefrau. Sie wird weder glorifiziert, noch in Berties Schatten gestellt - stattdessen wird sie majestätisch dem damaligen Zeitgeist entsprechend von Uschi Haug kostümiert. In keinem Moment der Stücks verfällt sie in gezwungen-komödiantisches Spielverhalten. Die anti-heroische Darbietung von Tim Oberließen als King Bertie überzeugt und die Inszenierung verlangt einiges von ihm ab: gerade wohl wegen der fehlenden Melodramatik. Die verletzbare Menschlichkeit Berties steht ständig im Kontrast zu den – kontrolliert zur Unterhaltung des Publikums eingesetzten - unkontrollierten Stotter-Anfällen und Wutausbrüchen.

Weitere Vorstellungen bis 11. Juni - www.salzburger-landestheater.at
Bilder: LT/Veronika Canaval