Auf Geweih und Verderb

LANDESTHEATER / DRAMOLETTE

26/09/14 Das Salzburger Landestheater versucht dem unterschätzten Genre des Dramoletts gleich auf zwei Wegen - in einem „Doppelabend“ - gerecht zu werden: Das studentische Projekt „Imma nu schee“ und Thomas Bernhards „Der deutsche Mittagstisch“ hatten am Donnerstag (25.9.) gemeinsam Premiere.

Von Harald Gschwandtner

Als Siegfried Unseld im August 1981 das Manuskript des Bandes „Der deutsche Mittagstisch“ mit sieben Bernhard’schen Dramoletten studiert, hält sich seine Freude in Grenzen. Nicht nur fürchtet der umsichtige Verleger bei all den Invektiven gegen deutsche Politiker schon den nächsten Gerichtsprozess, auch die literarische Qualität erscheint ihm höchst zweifelhaft. Billig-witziges Kabarett, nur einer der Texte habe „wirklich literarisches Niveau“, notiert Unseld in internen Aufzeichnungen. Dem Autor gegenüber ringt er sich zu der Bemerkung durch, er wolle die Kurzdramen nicht veröffentlichen, weil „der künstlerische Abstand gegenüber Ihren großen Stücken“ zu drastisch sei. Und der sonst für Kritik nicht eben zugängliche Bernhard gibt Unseld, sehr zu dessen Überraschung, Recht.

Gute Vorzeichen für eine Wiederentdeckung sehen eigentlich anders aus. Trotzdem bringen die Kammerspiele zum Schauspielauftakt dieser Saison unter der Regie von Claus Tröger, der in Salzburg 2011 schon „Vor dem Ruhestand“ inszeniert hat, vier der Texte auf die Bühne: „Maiandacht“, „Match“, „A Doda“ und „Der deutsche Mittagstisch“.

Dass man sich just dieser dramatischen Miniaturen von der Peripherie des Bernhard-Kosmos annimmt, mag allererst verwundern. Gerade die Dialoge ländlicher Kirchgängerinnen in „Maiandacht“ (Britta Bayer, Eva Christine Just – die beiden gerade hier in Hochform!) und „A Doda“ (Britta Bayer, Sofie Gross) jedoch machen rasch klar, welche komödiantisch-entlarvende Kraft diesen Texten selbst im historischen Abstand noch innewohnt.

Angesiedelt hat Bernhard seine in einer Mischung aus Dialekt und Hochsprache verfassten Dramolette in der bayrischen Provinz, eines ist explizit „Meiner Kindheitsstadt Traunstein“ gewidmet. Die Szenen aus dem ländlichen Alltag gehorchen einem Prinzip der Eskalation: Die scheinbar harmlosen Szenerien kippen wiederholt in offene Aggression, die untergründige Spannung entlädt sich in xenophobischen Ausfällen und unterdrückten Vergasungsphantasien.

Belauern sich die beiden Nachbarinnen in „Maiandacht“ die meiste Zeit mit unverhohlener Missgunst, eint sie doch der Hass auf das „Gsindl“, auf ausländische „Arbeitsscheue und Tachinierer“.

Die im Grunde recht einfach gebauten Stücke schwanken zwischen slapstickhafter Komik und sprachlicher Brutalität, entfalten große Bernhard-Themen in nuce, nur um umgehend wieder ins komödiantische Fach zu wechseln. Schön, dass sich die Regie dabei auch Zeit nimmt für szenische Miniaturen wie Hanno Waldners Pfarrer auf dem ‚Catwalk‘, die den subtilen Reiz der Textvorlage nur zu deutlich aufscheinen lassen.

Nun haben Studierende des Studiengangs „Szenisches Schreiben“ an der Universität der Künste in Berlin unter der Leitung von John van Düffel Szenen erarbeitet, die mit Bernhards Dramoletten in der einen oder anderen Beziehung stehen: „Wir haben gemeinsam Bernhard gelesen, seine Dramolette diskutiert und uns dann die Freiheit genommen, mit der dramatischen Matrix, die er vorlegt hat, zu spielen, sie zu überschreiten, fortzuschreiben und mit ihr auf unsere deutsch-österreichische Gegenwart zu schauen“, schreibt dazu van Düffel, der für das Landestheater vor zwei Jahren die Bühnenfassung von „Anna Karenina“ erarbeitet hat.

Die Idee, die jungen Autoren gewissermaßen als Bernhards Vorband spielen zu lassen, mag auf den ersten Blick etwas konventionell und unterwürfig wirken, ist jedoch den Direktiven des Suhrkamp Verlags geschuldet, der das Arrangement nur so erlaubt hat. Das Ergebnis dieses Experiments unter dem Titel „Imma nu schee“, das von den sechs Schauspielern des Bernhard-Teils bestritten wird, fällt allerdings durchwachsen aus. Man nimmt natürlich wahr, wie hier junge Theaterleute in allen Richtungen nach Formen suchen, um ein drängendes gesellschaftliches Thema auf die Bühne zu stellen. Gerade dem Zweipersonenstück „Herr und Frau Obrigst vor der Tagesschau“ von Elsa-Sophie Donata Jach gelingt es, in einer überzeugenden Weise die Perfidie vorzuführen, mit der sich der Fremdhass mitunter den Mantel des Altruismus umzuhängen weiß: „Aber warum denn zu uns? … Das muss man stoppen. Aus Nächstenliebe.“

Ensemble und Regie geben ihr Bestes, das heterogene Material zu einem einstündigen Vorabend zu formen. Manches bleibt aber zu sehr in abgegriffenen Sprachbildern stecken, entwickelt aus der Zurschaustellung alltäglicher Rassismen kaum eine interessante poetische Dynamik, die eine oft zu vordergründige Engagiertheit künstlerisch auffangen würde. Wäre freilich die Nähe zum Meister ein hinreichendes Kriterium, dann gebührt Paul Bullinger die Krone des Abends. Sein Kurzdrama „Der deutsche Kreißsaal“ trifft den Bernhard’schen Sound aber ehesten (und legt es wohl auch drauf an).

Was dieser „Doppelabend“ jedenfalls plastisch vor Augen führt, ist die Durchdringung selbst der intimsten und privatesten Beziehungen durch Fremdenhass und Rassismus. Was in Bernhards „Match“ beispielhaft vorgeführt wird – der vielschichtige Konnex von Geschlecht und Xenophobie –, variieren die aktuellen Texte in vielfacher Weise: ein Ansatz, der wohl nicht von ungefähr an Ingeborg Bachmanns Diktum erinnert, der Faschismus sei das Erste zwischen Mann und Frau.

Und die Geweihe? Die hängen den gesamten Abend über wie heimatliche Damoklesschwerter über der Szenerie (Ausstattung: Katja Schindowski), und erinnern dabei frappierend an stadtbekannte Dekorationen. Zufall? Vielleicht nicht. Der Bogen zum „Mittagstisch“ wäre damit jedenfalls geschafft.

Aufführungen in den Kammerspielen bis 4. Jänner 2015 – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Landestheater Salzburg /Veronika Canaval