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Wort-Prügel in der U-Bahn

ARGEkultur / UNTERTAGSBLUES

22/10/14 Der Geist seiner legendären Publikumsbeschimpfung weht durch Peter Handkes „Untertagsblues“, mit dem die Studiobühne EXTRA München in der ARGEkultur gastiert. Dabei schlüpft Jurij Diez in die Rolle eines Gift und Galle versprühenden Misanthropen.

Von Christoph Pichler

Einen Mitfahrer wie ihn wünscht sich niemand bei der Heimfahrt nach der Arbeit. Erst sitzt er noch ruhig in sich vergraben in seinem U-Bahn-Sitz, doch sobald ihm das erste dünne Geduldfädchen gerissen ist, gibt es für seinen Hass kein Halten mehr. Wer Schlüpfer als Schuhe trägt, kann für ihn nichts anderes als ein Nichtsnutz sein. Aber auch als Kleriker ist man vor den Schimpftiraden des Übelgelaunten keineswegs in Sicherheit. „Ich kenne euch alle, von innen und außen“, schleudert er den Fahrgästen entgegen und nimmt einen nach dem anderen ins Visier. Da hilft es auch nicht, sich hinter einem Buch, einer Zeitung, einem geduldigen Lächeln oder vorgetäuschtem Schlaf zu verstecken. Selbst ein Stirnrunzeln nimmt der immer wilder Tobende zum Anlass, im Schädel dahinter lautstark Leere zu diagnostizieren.

Ausländer, Frauen, ein schönes, verliebtes Paar – es gibt nichts, was ihn nicht auf die Palme bringt. Allerdings bricht doch manchmal schmerzverzerrte Wehmut durch seine Sperrfeuer an Beleidigungen und verbitterten Zeitdiagnosen. So hält er nicht nur alle Mitmenschen für hässlich, sondern sich selbst (natürlich nur durch deren Schuld) für den Hässlichsten von allen. Als der selbsternannte Scharfrichter der Schönheit dann endlich seinen Wagon leergeekelt hat, kann er die Einsamkeit allerdings noch schlechter ertragen und wünscht sich sehnlichst seine Opfer zurück. Doch es erscheint nur eine „wilde Frau“, die dem Störenfried und Friedensstörer ordentlich die Leviten liest und seine eigene Vorhaltungen nun gegen ihn verwendet.

Ein paar Gerüstbaurohre, selbst gezimmerte Holzkästen und Sessel reichen Regisseurin Katrin Kazubko aus, um das Studio der ARGEkultur in einen U-Bahn-Wagon zu verwandeln. Jurij Diez wetzt darin auf und ab wie ein wildes, in einem Käfig gefangenes Tier. Auf der Bühne ohne Anschnauzpartner, sucht er sich seine Opfer immer wieder im Publikum. Da heißt es für die Auserwählten, gute Miene zum bösen Spiel machen. Zumindest schlägt in den letzten Minuten der gut einstündigen Aufführung Jaime Villalba-Sanchez in glitzernder Robe (Claus Schulz) und mit funkelnden Augen zurück. 

Wer sich von Jurij Diez nach allen Regeln der Formulierkunst beflegeln lassen will oder auch nur einfach Gründe sucht, warum Salzburg keine U-Bahn bekommen sollte, ist bei diesem Untertagsblues richtig. Eine allzu dünne Haut ist dabei allerdings nicht zu empfehlen, denn ohne zumindest von einem von Handkes verbalen Giftpfeilen punktgenau getroffen zu werden, verlässt wohl niemand den Saal. Vielleicht hat die Suada aber auch einfach nur kathartische Wirkung und lässt die Zuschauer bei der nächsten Gemeinschaftsfahrt entspannter auf seine Mitmenschen blicken – sofern nicht plötzlich ein schlechtgelaunter Jurij Diez zusteigt.

Zweite Vorstellung heute Mittwoch (22.10.) um 19.30 Uhr in der ARGEkultur – www.argekultur.at

Bild: Franz Kimmel

 

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