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Es kommt der Moment, wo es aufhört

LANDESTHEATER / KAMMERSPIELE / NACH EUROPA – ÜBER DAS MEER

06/02/15 Der deutsche Journalist Wolfgang Bauer ist ein Günter Wallraff der Immigration aus Afrika. Undercover machte er sich auf den Weg, mit syrischen Flüchtlingen. Von Ägypten (wo diese Leute auch schon Exilanten waren) nach Europa. Seine aufrüttelnden Menschenbilder konnte man in der „Zeit“ nachlesen und seit vorigem Herbst auch im Buch (bei Suhrkamp). Und nun – als Uraufführung – auf der Bühne, in den Kammerspielen des Landestheaters: „Über das Meer“.

Von Reinhard Kriechbaum

Eignet sich ein solcher Text auch nur ansatzweise für eine Bühnenumsetzung? Intendant Carl Philip von Maldeghem als Regisseur und seine Dramaturgin Maren Zimmermann haben sich fürs Beibehalten der Kolportage entschieden. Drei Männer und eine Frau schicken sie ins Rennen. Man fingiert keine Dialoge, setzt eher Sprechchöre der vier Darsteller für eine ultra-rasche Abfolge von präzise gefassten, ohne plumpen Realismus Situationen und vor allem Stimmungen suggerierenden Szenerien. Für deren Andeutung müssen ein paar Holzsessel als Requisiten genügen.

So kommt gut heraus, wie Menschen gehetzt werden, genauer: wie sie zwischen Gehetzt-Sein und lähmendem, nicht minder beängstigendem Warten zermürbt werden. Die Reisegefährten von Wolfgang Bauer waren keineswegs die Ärmsten der Armen. „Der gesamte syrische Mittelstand“ warte da mit Blick aufs Meer in Alexandrien, heißt es einmal. Das Geld, auch wenn man’s zu haben glaubt, geht freilich drauf. Wie sie dran kommen, das wissen die abzockenden Fluchthelfer. Die Europa-Immigranten in spe geraten zwischen die Fronten rivalisierender Banden in Sachen Fluchtorganisation. Es sind Menschen mit unterschiedlichen Richtungen und Absichten unterwegs: neben den Syrern auch Ägypter, die nach Griechenland wollen (und sich in Europa als Syrer ausgeben werden). Vor Griechenland gehen Kurden an Bord.

Wolfgang Bauer ist übrigens zwei Mal aufgeflogen: In Ägypten ist er gar nicht erst aufs Schiff gekommen, der EU-Pass war sein Exit-Visum in die Türkei. Diesen Flug hat er nach eigenen Worten gegenüber den Flüchtlingen als „obszön“ empfunden hat. Mit den Immigranten blieb er per Handy in Kontakt, und so ist er schließlich von Süditalien mit zwei Syrern per Auto Richtung Deutschland gefahren. Da war in Österreich an der Brenner-Autobahn Schluss. Irgendwie haben es dann diese Leute doch geschafft in die EU.

Der knallharten Reportage setzt Maldeghem an dem Abend eine nicht minder textreiche, aber bei aller Krassheit entschieden poetische Fluchtgeschichte entgegen: „Nach Europa“ ist die vor zwei Jahren von Friederike Heller fürs Hamburger Schauspielhaus dramatisierte Flucht-Erzählung aus dem Roman „Drei starke Frauen“ der französisch/senegalesisch-stämmigen Autorin Marie NDiaye.

Auch da verlegt sich der Regisseur aufs Chorische, er verdoppelt die Frauenfigur, ihre Begleiter und Widersacher. Eine dunkelhäutige und eine blonde Frau durchleben das Schicksal der Khady Demba, die von der Familie ihres verstorbenen Mannes verstoßen, hinauskatapultiert wird aus ihrer Welt. Nach Monaten des Torts – unter anderem als Zwangsprostituierte in einer „Wüstenstadt“ – wird sie an den hohen Zäunen von Melilla zu Tode kommen. „Die Träume waren dem Hereinbrechen des wirklichen Lebens nicht gewachsen“ heißt es in dieser so gar nicht larmoyanten Geschichte einmal, und die in krasse Realität des Flüchtens getriebene, ahnungslose junge Frau fragt einmal: „Was ist das genau, Europa?“

Verbindende Elemente dieser beiden knapp und konzis erzählten Emigrationsgeschichten: Es wird nicht auf die Tränendrüsen gedrückt. Der Regisseur und seine sprachlich äußerst konzentrierten, Emotionen in Zaum haltenden Schauspieler (man darf einzelne nicht hervorheben, es geht um ein starkes Sprech-Ensemble) konfrontieren mit Menschen, die momenthaft greifbar, Wesen aus Fleisch und Blut werden, und dann doch gleich wieder fürs Allgemeinschicksal stehen.

Ganz stark verbindet die beiden Einakter das Bühnenbild von Thomas Pekny: ein Wald von Metallstangen, von der Decke hängend, fahrbare Transparent- und Spiegelwände. Man denkt unwillkürlich an Spiegelkabinette auf Jahrmärkten. Die Leute hier zahlen auch, aber sie liefern sich den Irrwegen nicht freiwillig aus. Wenn die Stangen pendeln, schwingt das Bedrohliche im Wortsinn mit.

„Es kommt der Moment, wo es aufhört.“ Damit hat sich in Marie NDiayes Roman die unsäglich leidende und zugleich unsäglich starke Khady getröstet. Für ein paar der Protagonisten von Wolfgang Bauer hat es auch – vorerst einmal – aufgehört. Zwei syrische Brüder sitzen jetzt in einem Immigrantenheim in der schwedischen Pampa, um das herum Neonazis aggressive Stimmung machen. Und Heimat, so heißt es am Ende, wären ja doch die Gewölbe im Bazar von Damaskus.

Aufführungen bis 5. März in den Kammerspielen – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Anna-Maria Löffelberger

 

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