Demontage einer Vorzeigefamilie

LANDESTHEATER / KAMMERSPIELE / ZORN

19/03/15 Rechte Schmieraktionen sind nicht erst seit der Verunstaltung der Stolpersteine oder des Euthanasiedenkmals in Salzburg ein Aufreger - dessen Bewertung von NS-Wiederbetätigung bis zu jugendlicher Dummheit reichen kann. Jedenfalls geht es genau darum im Stück „Zorn“ der australische Dramatikerin Joanna Murray-Smith, das am Mittwoch (18.3.) in den Kammerspielen seine österreichische Erstaufführung feierte.

Von Christoph Pichler

Die Harpers sind eine echte Vorzeigefamilie oder, wie Sohnemann Joe es nennt, „eine Vorzeigefamilie für Vorzeigefamilien“. Mutter Alice ist eine erfolgreiche Neurowissenschaftlerin, die mit ihrer Forschung nicht nur Leben rettet, sondern ihre Patente auch noch der WHO überträgt, statt selbst damit Gewinn zu scheffeln. Vater Patrick ist ein preisgekrönter Schriftsteller, dem allerdings der ganze große Durchbruch bislang verwehrt geblieben ist. Dafür fehle es ihm weniger an Talent, als an der Fähigkeit zur Selbsttäuschung, sei er einfach zu nett und humorvoll, erklärt er bereitwillig sein Scheitern beim Aufstieg in den Literatur-Olymp.

Doch dann grätscht plötzlich ein Lehrer in die super saubere Familien-Idylle. Sohn Joe habe eine Moschee mit Graffiti verunstaltet, offenbart der aufgekratzte Pädagoge den geschockten Eltern. Zwar sei der Imam der betroffenen Gemeinde bereit, die nächtliche Schmieraktion nicht strafrechtlich als „Hass-Verbrechen“ verfolgen zu lassen, doch der drohende Image-Schaden zwinge die Schule zum Handeln.

Während Alice regelrecht explodiert und ihrem Zorn freien Lauf lässt, ist sich Patrick sicher, dass Joes Kumpel seinen Sohn zu diesem „jugendlichen Blödsinn“ getrieben haben muss. Doch diese Hoffnung stellt sich bald als ebenso trügerisch dar, wie die gutbürgerliche Familien-Harmonie, denn auch die Eltern haben eine rebellische Vergangenheit.

Tim Oberließen mimt den störrischen jungen Unruhestifter, der für seine Tat keinerlei Ausreden oder Sündenböcke sucht, auch wenn er selbst nicht so genau weiß, warum er sich eigentlich auf die Schmieraktion eingelassen hat. An Erklärungen mangelt es dagegen Christoph Wieschke als seinem Vater nicht. Er sucht die Schuld stets bei anderen oder in den Umständen und ist auch sonst nicht um Ausflüchte verlegen. Gabriele Fischer als Mutter Alice ist da aus ganz anderem Holz geschnitzt. Zorn hat sie bis ganz nach oben getrieben, nun bekommt der verirrte verwirrte Sohn ihren Karrieremotor zu spüren. Gnadenlos diagnostiziert sie bei ihm keinen verzeihbaren Fehler, sondern einen grundlegenden Defekt und erklärt ihm: „Wir sind deine Strafe – und du bist unsere.“

Während die Kernfamilie langsam und tragisch zerbröselt, sorgen die Nebenfiguren für auflockernde heitere Momente. So legt etwa Gregor Weisgerber den Lehrer als ebenso zynische wie überforderte Karikatur an, die sich mehr ums Image der Schule sorgt, als um das Seelenheil seiner Schützlinge. Auch das Elternpaar von Joes Mittäter (Britta Bayer und Axel Meinhardt) hat die Lacher auf seiner Seite, posaunt es doch seine nicht ganz so liberalen Ansichten den Harpers mit herzhaft guter Laune ins Gesicht. Und schließlich ist da noch Sofie Gross als engagierte Journalistik-Studentin, die es schafft, dass sich ihre Gesprächspartner mit großer Freude selbst entlarven.

Regisseur Marco Dott hat das Stück von Joanna Murray-Smith ganz nahe an der Karikatur inszeniert, auch wenn er das zentrale Psycho- und Familien-Drama durchaus ernst nimmt. Allerdings weiß er nur zu gut, dass es durchaus Spaß machen kann, einer selbstgerechten Bilderbuchfamilie bei ihrer Demontage zuzusehen. Dabei versetzt er seine Akteure in einem weiß gekachelten Raum, der jederzeit mit einem Hochdruckstrahler wieder auf Hochglanz gebracht werden könnte – wären da nicht die Giftmüllfässer, die langsam aus dem Hinterzimmer ins Rampenlicht gerollt werden (Bühne Eva Musil).

Eine ohrenbetäubende Sirene und ein rotes Alarmlicht machen jedoch bei jedem Szenenwechsel deutlich, dass das Gift ohnehin längst aus seinen Containern in die Gesellschaft gesickert ist. Ein spannender Abend, der einen etwas anderen Blick auf vermeintliche Tugenden wie Toleranz und Rebellion wirft, und dabei über zwei Stunden gut und abwechslungsreich unterhält. 

Zorn - Aufführungen bis 15. April in den Kammerspielen des Landestheaters - www.salzburger-landestheater.at
Bilder: LT/Anna-Maria Löffelberger