Die Welt, die eilt, wie man ja selbst

SCHAUSPIELHAUS / DOSENFLEISCH

23/11/15 Mit dem Essen hat es Ferdinand Schmalz: „Am Beispiel der Butter“ war sein preisgekröntes Debütstück, „Der Herzerlfresser“ wurde jüngst in Leipzig uraufgeführt. Der Stücktitel „dosenfleisch“ wirkt kulinarisch deutlich weniger ansprechend. Es soll einem ja auch der Appetit vergehen dabei...

Von Reinhard Kriechbaum

Vierrad-Wanderer, kommst Du fürderhin an eine Raststätte, so bedenke: „Das reine Pinkeln ist Gift für das Geschäft.“ Eine längere Verweildauer wäre aus merkantiler Empathie anzustreben, und womöglich auch aus dem Drang zur menschlichen Begegnung heraus. Die sollte vielleicht nicht ganz so krass ausfallen wie jene mit den beiden jungen Damen in Ferdinand Schmalz' Stück „dosenfleisch“.

Das Stück hat es nach seiner Uraufführung bei den Berliner Autorentagen binnen weniger Monate ins Burgtheater (Kasino) und jetzt auch ins Schauspielhaus Salzburg gebracht. Zur Zeit ist Schmalz erfolgsmäßig auf der Autoren-Autobahn in beängstigendem Tempo unterwegs, und er muss wohl aufpassen, dass es ihm nicht geht wie manchen Leuten in seinem Stück. Dosenfleisch gibt’s nämlich nicht zum Essen in der Raststätte. Der Begriff steht als Metapher für die in ihren Karosserien eingeschlossenen Lebewesen. Genauer gesagt: Wenn Rolf, der Versicherungs-Mitarbeiter, sich mit ihnen beschäftigt, sind sie keine solchen mehr. Die tödlichen Unfälle häufen sich auffallend.

Deshalb also ist Rolf (Moritz Grabbe) länger in der Raststätte, als ihm lieb sein kann. Der Fernfahrer (Markus Marotte) ist so etwas wie der Erzähler. Auch er hat etwas abbekommen, wüst ist er hergerichtet, zum Zombie mutiert. „Mit einem dumpfen Knall“, hebt er an, sei der Falter an der Windschutzscheibe zerplatzt. Am Ende des Stücks werden nicht nur die Kollegen vom Tierschutz die Stirn runzeln, es geht Ferdinand Schmalz natürlich nicht um Insekten, sondern um den heutigen Menschen. Zu schnell ist er unterwegs, die Sinnhaftigkeit der Geschwindigkeit so zweifelhaft wie das Ankommen wo auch immer: „Die Welt, die eilt, wie man ja selbst.“

Im Unfall, „da schürft die Wirklichkeit sich auf“ – in die frischen Schürfwunden legt Ferdinand Schmalz den Finger.

Zwei Frauen gehen um in der Raststätte: Für die Sauberkeit und das Nachfüllen des Getränkeautomaten zuständig ist Beate (Susanne Wende), von der wir erfahren werden, das das Haus, in dem sie ihre Kindheit verbracht hat, der Autobahn hat weichen müssen. Dies hat einen Seelenknacks nach sich gezogen: „Hier gilt das Gesetz der Straße, ich bin die Straße.“ Das Fernseh-Starlet Jayne (Alexandra Sagurna) war Unfallopfer und nutzte die Gelegenheit zum Ausstieg. Die Dame, deren Human-Karosserie bei dem Crash in der Hüftgegend etwas aus der Form gekommen ist, gilt seither offiziell als verschollen. Was die beiden Frauen so treiben? Rolf sollte in seiner Recherche jedenfalls rechtzeitig „ausgebremst“ werden, weil „wenn der uns in die Spur gerät...“

Unser Vokabular ist stark von der Mobilität durchspickt, das öffnet Ferdinand Schmalz Möglichkeiten zum Wortspielen zuhauf. Verkehr, Fernverkehr, Individualverkehr, Verkehrsanbahnungen - da lässt sich schon was rausholen und übertünchen, dass hinter der Sprachverliebtheit nicht wenig Banalität steckt. Der Steirer Ferdinand Schmalz gehört in jene Gruppe junger Jelinek- und Werner Schwab-Epigonen (wie die Oberösterreicher Thomas Arzt und Ewald Palmetshofer), die sich mit pingelig durchmodellierten Texten überdeutlich absetzen von jener anderen Radikalform heutigen Theaters, die auf Autoren pfeift und der eigenen (Ensemble-)Befindlichkeit absoluten Vorrang einräumt. Das ist wohl auch ihr Erfolgsrezept.

Eine Herausforderung allemal für die Schauspieler: In der Regie von Anne Simon, die das Bizarre genüsslich und mit Tempo zelebrieren lässt, entstehen deftige Typen. Mit dem vor Metaphern und Wortspielen schier berstenden Text kommen die vier bemerkenswert gut zurecht. Die Ausstatterin Isabel Graf hat sich Vorhänge aus schweren Eisenketten ausgedacht. Mit denen lässt sich furchterregend rasseln. Das passt auch insofern, als Schmalz' Text im Grunde mehr vorgibt, als gedanklich dahinter steckt. Denn die Moral von der Geschicht': „Am Ende sind wir alle Unfälle, mehr nicht.“

Aufführungen bis 20.12. im Studio – www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Gregor Hofstätter