Bei sich selbst und anderen abschreiben

SALZBURG BIENNALE

27/02/13 In der Wissenschaft nennt man das „Plagiat“, in der Kunst „Palimpsest“. Dieses Wort, beiläufig ins Gespräch gestreut, zeugt von Bildung. An der Salzach wird man es künftig öfter hören: „Palimpsest. Musik über Musik“ ist das Motto der Salzburg Biennale, die an den drei Wochenenden von 1. bis 17. März an elf Spielstätten zwischen ARGEkultur und Universität Mozarteum über die Bühne gehen wird.

Von Heidemarie Klabacher

Palimpsest? Pergament war (und ist) kostbar. „Altpergament-Container“ gab es im mittelalterlichen Kloster nicht. Von alten Pergamentblättern oder Bögen zerfallener Bücher wurde die Tinte abgeschabt, das Blatt wurde geglättet und wieder beschrieben. So ein recyceltes Pergament nennt man Palimpsest. Dabei ist das „darunter“ heutzutage oft spannender, als das „darüber“: Der ursprüngliche Text – mit enormen Aufwand modernster Technik wieder sichtbar gemacht – sorgt immer wieder für Sensationen in der Wissenschaft. Für eine der größten dieser Sensationen steht das „Palimpsest des Archimedes“, aber das führt hier zu weit. „Palimpsest“ also. Ein wunderschönes Wort. Vielschichtig. Genau deswegen passt es so gut zur Zeitgenössischen Musik.

Die abgeschabte Tinte schimmert immer durch den neuen Text. Und so schimmert auch die Musik der Vorgänger immer durch die jeweils „zeitgenössische“ Musik hindurch. Bei Jugendwerken fällt das oft stark auf. Im reiferen Werk und Spätwerk verblassen die Spuren der Vorgänger. Erst jüngst erklang bei der Mozartwoche die „Erste und Einzige“ Symphonie von Richard Wagner: Fast meinte man, ein verloren gegangenes Werk von Beethoven zu hören. Da waren die alten „Tintenspuren“ auf dem neuen Notenblatt noch deutlich sichtbar, deutlich hörbar. In der Tristan-Partitur ist davon nichts mehr übrig. Das war schon immer so. Den Begriff „Palimpsest“ strapaziert erst die Moderne.

„Wir kennen das Verfahren der Übermalung aus der bildenden Kunst, wo ein Spannungsfeld entsteht zwischen verschiedenen Schichten, Übermalung dazu dient, das Darunter liegende, nun Verborgene, freizulegen“, so Heike Hoffmann, die künstlerische Leiterin der Salzburg Biennale. Es gehe um Distanz und Nähe, Identität und Abgrenzung, Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, so Heike Hoffmann. „Auch Musik komponieren bedeutet, sich in Form von Annäherung oder Abgrenzung gegen über der übermächtigen Tradition zu positionieren, sich des ‚Woher’ zu vergewissern, um ein ‚Wohin’ zu definieren.“

Daher seien die wechselnden Perspektiven zeitgenössischer Komponisten auf die Tradition – aber auch auf eigene frühere Werke - ein zentrales Thema im Programm der Biennale 2013. „Viele zeitgenössische Komponisten vergewissern sich des eigenen Standpunktes, indem sie sich mit Werken anderer kreativ auseinandersetzen, sie bearbeiten, re-komponieren, überschreiben – gewissermaßen einen musikalischen Dialog über die Generationen hinweg führen“, sagt Heike Hoffmann.

Palimpsest, Bearbeitung, Re-Komposition nennt man das dann. „Begriffe, die die komplexen und von extrem unterschiedlichen Standpunkten ausgehenden Annäherungen an bereits vorhandene Musik nur unvollkommen beschreiben können.“ Tatsächlich ist es g’scheiter, Musik zu hören, als zu beschreiben. Viele verstiegene Formulierungen erklären sich dann ganz von selbst.

So spielt das PianoDuo GrauSchumacher am Sonntag (3.3.) im Solitär etwa das Stück „Monologe“ von Bernd Alois Zimmermann, ursprünglich ein Konzert für zwei Klaviere und Orchester, in der Fassung für zwei Klaviere. Zimmermann zitiert darin etwa Bach und Debussy, der eines seiner bekanntesten Werke – „Prélude à l’apres-midi d’un faune“ - zugleich in Orchester- und Klavierfassung herausgebracht hat. Ferruccio Busoni hat Bach bearbeitet - und hatte gegen die eigene Bearbeitung starke Vorbehalte. Spricht für ihn. So kann man es sich jedenfalls gut vorstellen, was Heike Hoffmann meint, wenn sie davon spricht, dass Komponisten „sich in Form von Annäherung oder Abgrenzung gegen über der übermächtigen Tradition zu positionieren“ versuchen.

Drei Reihen ziehen sich durch das Programm der Salzburg Biennale, die Heike Hoffmann zum zweiten Mal verantwortet: Die Portraitreihe „zoom“ stellt den französisch-slowenischen Posaunisten und Komponisten Vinko Globokar und die britische Komponistin Rebecca Saunders vor. Im „focus“ steht heuer das Klavier als Soloinstrument: Marino Formenti, Stephen Drury, Nicolas Hodges und das GrauSchumacher Piano Duo spielen Werke, die das Genre im 20. Jahrhundert geprägt haben.

Die Musiktheaterschiene „szenenwechsel“ ist mit insgesamt neun szenischen Produktionen besonders üppig und reizvoll. Zudem sind es Koproduktionen mit internationalen Partnern, die erstmals in Österreich gezeigt werden. Am Samstag (2.3.) steht im Republic „Lezioni di Tenebra“ auf dem Programm, die „Reduktion“ einer Oper von Francesco Cavalli. Eine Hommage an die Komponistin Maria Theresia Paradies ist „Black Mirrors“ am Sonntag (3.3.) in den Kavernen. Helmut Oehrings „Kalkwerk“ nach dem Roman Thomas Bernhard folgt am 7. März. Die Stiege des Klangs - „Escalier du Chant“ – wird am 9. und am 16. März im Museum der Moderne Mönchsberg erklommen. Unter dem Motto „Fabula“ tritt am 9. März der Countertenor Daniel Gloger im Weinarchiv der Blauen Gans in einen Bühnen-Dialog mit Garth Knox, der Viola d’amoro spielt. „Danza Preparata“ nennt die Tänzerin Silvia Bertoncelli ihr Programm mit Musik von John Cage am 10. März im Republic.

Der Schlagzeuger und Komponist Matthias Kaul nennt seinen szenischen Abend am 14. März in der ARGE „Kafkas Heidelbeeren“. Zum guten Schluss am 16. März hat der Schlagzeuger Jean-Pierre Drouet unter dem Motto „Parcours“ Musik von Georges Aperghis für seine Musik-Maschinen inszeniert.

Eröffnet wird die Salzburg Biennale am Donnerstag (1.3.) vom Schlagzeugensemble der Universität Mozarteum unter Jonathan Stockhammer mit Musik von Edgard Varèse und George Antheil. Am Sonntag (3.3.) ist spielt das oenm Werke der Preisträger des „Musikpreises Salzburg“ Georg Friedrich Haas und Aureliano Cattaneo.

Programm und Information - www.salzburgbiennale.at
Passend zum Motto der Biennale zeigt die Galerie Mauroner Contemporary Art (bis 26. April) die Ausstellung "Das Maß der Zeit, der Lauf der Malerei" mit Werken des spanischen Malers Joan Hernández Pijuan, der ebenfalls mit der Technik der Übermalung gearbeitet hat.
Bilder: www.salzburgbiennale.at; dpk-krie(1)