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Zur Rettung einer Idee

ANALYSE / SALZBURG BIENNALE

Von Wolfgang Danzmayr

30/11/12 „Es ist verdammt hart, so viele Geldmittel zu Verfügung zu haben“, fällt mir spontan zum unlängst erbrachten Vergleich von Wurstwaren mit Salzburgs Möchtegern-Großfestival Neuer Musik ein. Klingt nach Ablehnung? Nein, denn es war und ist hoch an der Zeit, dass auch in der Musikszene unsere Zeit nicht nur dann und wann Einzug hält in diverse Konzertsäle, einvermischt in nach wie vor meist klassisch-romantische Programmfolgen, sondern als künstlerischer Ausdruck unserer Zeit wahrgenommen werden soll.

Und es ist nach wie vor verdammt schwer, die diesbezüglichen Hemmschwellen zu überwinden.

Hans Landesmann, der äußerst versierte Gestalter einiger Festspielzyklen mit vorwiegend Neuem (z.B. Next Generation), hatte eine grandiose Idee: Die vier 2009 bei der 1. Salzburg Biennale präsentierten Komponistenpersönlichkeiten waren von ihm eingeladen und animiert worden, Einflüsse auch aus ganz anderen Kulturen, welche für sie prägend (gewesen) waren, ins Programm einfließen zu lassen. So eine Programmidee nenne ich innovativ!

Ähnliches hatte sich schon bei dem 1977 gegründeten ‚aspekte’-Festival mit einem stimmungsvollen, sich gegenseitig ergänzenden Kunterbunt an interdisziplinären Programmelementen ereignet. Leider kam man bald davon ab, und der Zuhörerstrom begann zu versiegen, als „nur mehr“ Neu-Musikalisches geboten wurde, wenngleich der eine und andere Höhepunkt, wie die prominenten Besuche des Festivals durch Iannis Xenakis, Mauricio Kagel und John Cage dem Klein-Festival immer wieder eine (Über-)Lebensspritze verpassen konnten.

Damals, in den 1980ern und frühen 1990ern, waren das höchst lebendige Komponistenpersönlichkeiten, an denen man sich noch – wenn auch da schon eher verspätet – orientierte.

2013 wird die Salzburg Biennale mit Varése und Antheil eröffnet. Okay, das ist starker Tobak, auch heute noch. Danach folgen Zyklen, in denen heutige Komponistinnen und Komponisten, wie der äußerst verdiente Georg Friedrich Haas und die junge, durchaus interessante „Capell-Compositeurin“ der Staatskapelle Dresden 2009/10, die Engländerin Rebecca Saunders, (noch) besser kennen gelernt werden können mit ihrem künstlerischen Schaffen. Doch welches sind die Bezüge, die Impulse, die Einflüsse auf das, was sie anzubieten haben?

Vielleicht versteckt sich ja in den Konzertprogrammen der eine oder andere Bezug; dem ersten Anschein nach jedoch bringen die Interpretinnen und Interpreten ihrerseits das in ein vollständiges Konzertprogramm ein, was sie selbst als wichtig erachten, vielleicht schon viel Zeit daran investiert und es jetzt „drauf“ haben.

Könnten sonst Namen einer bestimmten, von Veranstaltern wie Medien beinahe ausschließlich anerkannten Richtung auch bei diesem Festival schon wieder aufscheinen, wie Kurtág, Scelsi, Cage, Asperghis, Lachenmann oder Poppe? Ist andererseits ein Vinko Globokar wirklich noch so interessant in seiner Doppelrolle als (ehemaliger Jazz-)Posaunist und Komponist, wie er es vor drei, vier Jahrzehnten war?

Wären heute nicht, um ein Beispiel zu nennen, ein Christoph Cech und ein Christian Mühlbacher mit ihrer ‚Nouvelle Cuisine’ oder auch ein Christian Muthspiel oder ein Renald Deppe viel zeitgemäßer und auch publikumsträchtiger? Ist andererseits alles, was es an inzwischen Meisterhaftem im elektroakustisch-computergenerierten Bereich gab und gibt, nicht interessant genug für dieses Festival, obwohl die junge Generation auf alles, was elektronische Medien betrifft, voll abfährt?

Oder meint man gar, dass ein Jean Barraqué, den der an sich famose Marino Formenti zum Besten geben will, mit seiner seriellen Kompositionsweise heute noch jemanden von den (womöglich leeren) Stühlen reißen wird?

Ja, es wird wieder – sogar vermehrt – Szenisches geboten werden. Das werden (wieder) die am besten besuchten Aufführungen sein, klar. Aber wenn ich dann den Namen Lucia Ronchetti lese, fällt mir auf, dass ihre Wegbegleiter Murail, Grisey und Sciarrino waren, die wiederum – wenn auch als Komponisten alle drei hoch zu achten – aus demselben Eck kommen, welches zusammenfassend als „Avantgarde“ gehandelt wird. Also doch ein Warenhaus mit einschlägigen Angeboten?

Schließlich der Titel „Palimpsest“: ein ebenfalls an sich sehr honoriger und hoch interessanter Begriff, auch eine (nach wie vor) Herausforderung an Künstler. Aber als Festival-Motto? Geht’s vielleicht noch ein wenig intellektueller? Ist den/der Verantwortlichen eigentlich bewusst, wie wenig einladend dieses Motto daherstelzt, das den meisten Menschen überhaupt erst ausschweifend übersetzt=erklärt werden muss?

Es offenbart sich allzu deutlich, an wen sich die Salzburg Biennale richtet; nämlich kaum an ein möglicherweise für neue, künstlerische (auch musikalische) Ausformungen zu animierendes Publikum, sondern an den kleinen, engen Kreis jener Unermüdlichen, mit denen man freilich auch dann rechnen kann, wenn das Angebot ein wenig g’schmackiger, weiter gefasster, durch entsprechende Querverbindungen und Analogien interessanter und dennoch mit hoher Qualität dargeboten wird.

Somit kann jetzt schon vorhergesagt werden, dass bei der im März 2013 bevorstehenden Biennale vielleicht nicht einmal die zur Beruhigung der Aufgebrachten angestrebten (beschämenden) 70 Prozent des bereits deutlich verminderten Kartenvolumens für 2013 erreicht werden.

Und selbst wenn: Der „gap“ zwischen Einnahmen und der Summe, die dafür bereitgestellt wird, ist einfach – auch für ein Festival dieser Art – zu groß.
Wenn schon so viel an Mitteln investiert wird, die vielen anderen kleinen, höchst ambitionierten, selbstausbeuterischen und keineswegs uninteressanteren Vereinigungen und Veranstaltern (auch jener Neuer Musik!) bitter fehlen, dann muss ein solches Unternehmen wie die Salzburg Biennale absolut hochprofessionell aufgezogen und so programmiert sein, dass es zumindest eine gewisse kulturell-gesellschaftliche Relevanz erbringt (und somit auch die vielgeschmähte Umwegrentabilität).

Es geht mir nicht darum, ob die Salzburg Biennale an sich sinnvoll ist oder gar darum, ob sie sich ‚rechnet’. Sondern es geht einzig darum, eine Chance für Musik & Kunst, die auf vielfältige Art aus unserer Zeit entstand und entsteht (ob sie einem nun zusagt oder nicht), einem potentiell dem Neuem durchaus nicht verschlossenen Publikum so darzubieten, dass es über die ohnedies allmählich bröckelnden letzten Reste an Schwellenangst drüberzusteigen sich animiert fühlt.

Der Komponist, Dirigent und Journalist Wolfgang Danzmayr war Leiter der Musikabteilung des ORF im Landesstudio Salzburg. Er ist Initiator und Leiter des „Orchesterprojekts“, einer Unternehmung, die Laien und professionelle Orchestermusiker für die Realisierung anspruchsvoller Konzertprogramme zusammen bringt. - http://www.orchesterprojekt.at/

 

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