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Skandale von anno dazumal

BIENNALE / ERÖFFNUNGSKONZERT

03/03/13 Die dritte Salzburg Biennale begann Freitag (1.3.) am Abend im Großen Studio des Mozarteums in gepflegter Lautstärke mit Klassikern des 20. Jahrhunderts. Ein vom erfreulich zahlreich erschienenen Publikum lauthals akklamierter, effektvoller Anfang.

Von Gottfried Franz Kasparek

Sonderbar, wie zahm Edgard Varèses „Amériques“ daherkommt, wenn kein großes Orchester die Klangballungen von anno 1921 zur Explosion bringt. Diese Tondichtung des Parisers in Amerika ist ein aus den Fugen geratener „Amerikaner in Paris“ – auch wenn Gershwins Stück erst sieben Jahre danach komponiert wurde, sei der Vergleich gestattet. Hört man Varèses Skandalstück aus den „wilden Zwanzigern“ in der Aufnahme von Pierre Boulez nach, wird klar, wie sehr heulende Sirenen und rhythmische Exzesse und Experimente einfach im Klang der Zeit lagen. Es wird auch klar, welch ein genialisch zusammengebrautes, aber doch eklektisches Sammelsurium „Amériques“ eigentlich ist. Da lassen Strauss und Debussy lebhaft grüßen, ganz besonders aber Strawinsky. Noch deutlicher wird die Anlehnung an letzteren in der vom Komponisten selbst hergestellten Version für 4 Pianisten an 2 Klavieren, in der das dazumal tatsächlich ungewöhnliche Geräuschhafte so gut wie fehlt. Freilich bleibt auch die Spannung zwischen melodischen Floskeln und clusterhaften Sequenzen, zwischen leise und laut großteils auf der Strecke. Was übrig bleibt, ist ein trockenes, aller Sinnlichkeit beraubtes, strukturelles Skelett, allemal interessant und von den Herren Josef Christof, Andreas Grau, Steffen Schleiermacher und Götz Schumacher in höchster Qualität mit Hingabe aus den Steinways gehämmert.

Die eigentlichen Stars des pausenlos kurzen Konzerts waren Peter Sadlo und seine Schlagzeug-Zöglinge, die schon zu Beginn in Varèses „Ionisation“ mit gnadenloser Präzision, aber auch erstaunlich klangschöner Farbgebung aufgetrumpft hatten. Erst recht geriet ihnen, in Gemeinschaft mit den Pianisten und dem exakt Takt schlagenden Dirigenten Jonathan Stockhammer, George Antheils berühmt-berüchtigtes „Ballet mécanique“ zur applaustreibenden Orgie komplex ineinander verschachtelter Rhythmen. Schade allerdings, dass man sich nicht zur Urfassung von 1927 mit ihren Pianolas, Propellern und der „komponierten Stille“ durchgerungen hat, sondern zur vergleichsweise harmlosen, stark gekürzten Fassung von 1953. Verständlich, dass heutzutage ein Computer die Motorengeräusche übernimmt. Antheils Musik wirkt nach all dem Neue Musik- und Rock-Getöse der letzten Jahrzehnte fast schon „klassisch“, ist eigentlich zu einem angenehm scharfen „Hörbonbon“ geworden.

Beim Zuhören fällt einem ein, dass der Glaube an die Technik damals überwog, dass Arthur Honegger 1923 in der Avantgarde-Küche Paris die amerikanische Eisenbahn und Alexander Mossolow ungefähr gleichzeitig mit Antheil eine sowjetische Eisengießerei zum orchestralen Klingen brachten. Sogar in Operetten wurde mitunter auf Schreibmaschinen nach Noten getippt. Das Publikum jener Jahre delektierte sich geradezu an Skandalen, die Übervater Strawinsky mit „Sacre“ uneinholbar grandios eingeläutet hatte. Der schräge und sehr begabte Mr. Antheil kann auch nur von seiner eigenen Lust an der Provokation  überdribbelt worden sein, wenn er behauptete, sein mechanisches Ballett sei „die erste Komposition in der Welt, die als durchgehendes Stück konzipiert ist, ohne Unterbrechung, wie ein solider Stahlträger.“ Stahl hin oder her, zumindest „Die Moldau“ und den Donauwalzer wird er ja wohl gekannt haben.

Heute, Sonntag, bei der „Biennale“: Das Preisträgerkonzert für Georg Friedrich Haas, der den Internationalen Kompositionspreis des Landes Salzburg entgegennimmt, und für den Förderpreisträger Aureliano Cattaneo. Es spielt das Österreichische Ensemble für Neue Musik (Großer Saal des Mozarteums, 18 Uhr) - www.salzburgbiennale.at
Bilder: Salzburg Biennale / Wolfgang Kirchner

 

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