Doppelt gebrannte Emotionen

BIENNALE / LEZIONI DI TENEBRA

03/03/13 Die Protagonisten schweben auf Seilbahnen kreuz und quer über den Köpfen des Publikums. Jason und Medea haben Zoff miteinander und mit ihren jeweiligen Geliebten oder Gatten. Das Goldene Vlies kommt auch vor, aber nur am Rande. Eine „zeitgenössische Barockoper“ im Republic eröffnete am Samstag (2.3.) den Reigen der insgesamt neun szenischen Produktionen bei der Salzburg Biennale.

Von Heidemarie Klabacher

Die „Lektionen der Finsternis“, die die Komponistin Lucia Ronchetti mit „modernen“ Mitteln erteilt, basieren auf barocker Grundlage: „Reduktion der Oper ‚Giasone’ von Francesco Cavalli“ nennt die italienische Komponistin ihre Adaption „Lezione di tenebra“. Tatsächlich kommt sie mit einer Sopranistin und einem Countertenor aus, wo der Kollege der Barockzeit das ganze Aufgebot an Helden und Heldinnen, Geistern und Schatten aufgeboten hat. Katia Guedes und Daniel Gloger singen alle Hauptrollen, Assistenz etwa aus dem Reich der Schatten bieten die Sängerinnen und Sänger des das Vocalconsort Berlin. Es spielt das PMCE Parco della Musica Contemporanea Ensemble unter der Leitung von Tonino Battista.

Am Original aus dem Jahr 1649 habe sie fasziniert, so die Komponistin Lucia  Ronchettei, dass es Cavalli gelungen sei, jede Figur mit musikalischen Mitteln ganz unverwechselbar zu zeichnen. Das gilt auch für das zeitgenössische Konzentrat, das die Verwirrungen und Verstrickungen einer ausgewachsenen Barockoper auf eine einzige Stunde hoch konzentrierter Musik destilliert: Doppelt gebrannte Emotionen, musikalisch und emotional Hochprozentiges vom Feinsten. Die barocken Strukturen sind deutlich erkennbar, werden aber immer wieder mit zeitgenössischen Mitteln verfremdet und gebrochen. Das wird von allen Ausführenden brillant umgesetzt - kein Ton in der Musik, keine Geste in der Darstellung ist zu viel. Es ist aber auch keiner zu wenig, um eine packende Wirkung, ein richtiges "Opernfeeling" zu erzielen.

Die Bühnen- und Kostümbildnerinnen Mirella Weingarten und Sabine Hilscher haben das Opernpersonal - angefangen bei Giasone/Jason und Medea – als ätherische „Geschöpfe“ dargestellt, als phantasievolle und überaus charakteristische Puppen, die vor ihren jeweiligen Auftritten von den beiden Sängern einfach auf die Drahtseilbahn gehängt werden, die über den Köpfen des Publikums gespannt ist.

Hinreißende Effekte von Nähe und Ferne entstehen: Das Schiff Argo fährt auch einmal an ihrem Haken vorbei, ein kleines überfordertes Schiffchen, von dem klar ist, dass es die Helden nur in irgendwelche Gestade des Verderbens bringen kann. Die Geister und Schatten, die die Zauberkönigin Medea in ihrer Liebe und in ihrem Hass beschwört, schweben einmal als unruhig hüpfende rote Lichtlein vorüber – geheimnisvoll und dramatisch zugleich, wie kein Regisseur menschliche Darsteller je würde in Szene setzen können.

Man darf sich nicht drausbringen lassen, dass auch etwa ein Orest hier vorkommt, der auf der Fahrt der Argo sicher nicht mit von der Heldenpartie war. Das Libretto von Giacinto Andrea Ciognini ist eine wilde Sache voller Königinnenmord und Totschlag. Orest ist jedenfalls auch dabei - und wenn der Sänger seine kugelrunde Puppe ans Seil hängt, hört man schon vorher den tiefen Klang, der zu dieser Figur gehört. Mit größter technischer Brillanz und stimmlicher Wendigkeit gestalten Katia Guedes und Daniel Gloger die einzelnen Rollen, entfalten sie beredte Dialoge quasi mit sich selbst. Giasone zeichnet schmelzendes Countertenor-Timbre aus, Medea schwankt zwischen warmem Gefühl und tiefem Hass, ihre Geisterbeschwörung ist grandiose Stimmakrobatik.

„Lezione di tenebra“ ist eine Koproduktion des Konzerthauses Berlin, der Fondazione Musica per Roma, der KunstFestSpiele Herrenhausen und der Salzburg Biennale, die die Produktion als Österreichische Erstaufführung herausgebracht hat.

Die nächsten szenischen Produktionen bei der "Salzburg Biennale": "Kalkwerk" von Helmut Oehring (nach Thomas Bernhard) am Donnerstag, 7.3., im republic; "Escalier du Chant I" von Olaf Nicolai am Samstag, 9.3., im Museum der Moderne; "Fabula" von Oscar Strasnoy am Samstag, 9.3., im Weinmarchiv der Blauen Gans; "Danza Preparata" am Sonntag, 10.3. im republic - www.salzburgbiennale.at

Bilder: Salzburg Biennale / Wolfgang Kirchner