Erfüllt sind die Klänge vom Nichts

BIENNALE / KLAVIERABEND HODGES

10/03/13 Mit angehaltenem Atem wartet man auf den Klang, der aus dem Nichts kommen, aufblühen und den Saal erfüllen wird. Klaviertasten niedergedrückt – nicht angeschlagen – offenbaren Klänge unglaublicher Intensität.

Von Heidemarie Klabacher

Einen Akkord in die Tasten zu „drücken“, und darauf zu warten, welcher Klang herauskommt, wenn andere Tasten tatsächlich angeschlagen werden – das ist eine Technik, wie sie immer wieder von zeitgenössischen Komponisten verlangt wird. Dass Pianisten mit der flachen Hand oder dem Unterarm ganze Tastenreihen anschlagen und dann dem sich aufbäumenden Cluster Zeit zum Verklingen und den Obertönen Zeit zur Entfaltung zu geben, verwundert oder empört selbst auf „klassischen“ Festivals längst niemanden mehr.

Umso verwunderlicher und wunderbarer, die extreme Sogwirkung hinein in die Tiefe des Klangs, die der Pianist Nicolas Hodges am Freitag (10.3.) im Solitär mit solch gängigen zeitgenössischem Spieltechniken entwickelt hat. Ausgewählt hat er drei Stücke, die das „Experiment“ mit dem Klavierklang exemplarisch durch die Musikgeschichte der Gegenwart hindurch nachvollziehbar machen.

Hodges begann mit dem „Klavierstück X“ aus 1954/61 von Karlheinz Stockhausen. Extrem „scharf“ angeschlagene, schnell repetierte Töne, oft erschreckend heftige An-Schläge, sind das eine Merkmal dieses frühen Experimentierfeldes. Das andere sind Cluster, Glissandi oder auch einzelne Töne, denen schier unendlich viel Zeit zum Verklingen gegeben wird.

Ganz ähnliche Techniken – ein modernes unpräpariertes Klavier hat eben nur eine bestimmte Anzahl temperiert gestimmter Tasten und drei Pedale und sonst nichts – verwendet die Komponistin Rebecca Saunders, die Komponistin in Residence der Biennale. Ihrer „Study for piano solo“ wurde von Nicolas Hodges in Solitär uraufgeführt.

„Study for piano solo“ ist in der Gesamtwirkung weniger radikal, weniger erschreckend in der Schärfe des Kontrastes, wie etwa das frühe Klang-Sezieren eines Stockhausen. Auch Saunders „spielt“ mit dem dritten Pedal, das jeweils die Saiten einzelner Töne nachklingen lässt, spielt mit dem tonlosen Anschlagen von Tasten – und mit der Oberton-Antwort der „freigegebenen“ Saiten auf die Frequenzen anderer Töne. Eine ebenso spannende, nur eben ein wenig introvertierter wirkende Klangstudie.

Als drittes Werk spielte Nicolas Hodges die „Serynade“ von Helmut Lachenmann, die zwischen 1997 und 2000 entstanden ist. Auch Lachenmann experimentiert mit dem Klangspektrum des Klaviers, mit sich auftürmenden Obertönen, Klängen, die nicht angeschlagen, sondern aus dem Zusammentreffen anderer Klänge quasi im Nichts gezeugt werden.

Gebannt lauschte man dem brillanten Pianisten Nikolas Hodges, der die scheinbar abstrakten Klangstudien als das zu offenbaren wusste, was sie sind: packende Musik von größter Klangsinnlichkeit und geradzu hympnotischer Wirkung. Wie Schubert, nur halt "modern".

Bild: Marco Borggreve