… und erst die Spieldosen!

BIENNALE / CHROMA

11/03/13 Man betrat den Saal nicht ebenerdig, sondern über die Galerie, ließ das banale Stiegenhaus und den Rest der Welt hinter sich und fand sich beinahe schwebend in einem geheimnisvollen Fast-Dunkel: Die Salzburger Fassung des Werkes „Chroma“ von Rebecca Saunders wurde bei der Biennale im Karl-Böhm-Saal uraufgeführt.

Von Heidemarie Klabacher

Menschen mit oder ohne Instrument wanderten geruhsam herum. Notenständer standen da und dort - vor allem dort, wo man mit Notenständern nicht rechnet. Etwa auf einem der kleinen Balkone an der Längsseite des Saales, oder auf der zweiten  Galerie über dem Eingang wo garantiert noch nie ein Musiker positioniert war. Die martialisch-disparate Ausstattung der ehemaligen Reitschule gewann im gedämpften Licht räumliche Geschlossenheit und verband sich auf das Stimmungsvollste mit der Musik, die langsam von oben und alsbald aus allen Richtungen zu kommen schien.

Das Werk „Chroma“ von Rebecca Saunders besteht aus mehreren kammermusikalischen Stücken zwischen Solo und Trio, die zugleich oder gegeneinander verschoben gespielt werden. Die Musikerinnen und Musiker sitzen nicht gemeinsam um ihre jeweiligen Pulte und Noten herum, sondern sind soweit voneinander aufgestellt, wie es der jeweilige Raum nur erlaubt.

Erstmals aufgeführt wurde „Chroma“ 2003 in einer Turbinenhalle der Tate Modern in London. Zur Urfassung gehörten Klavier, zwei Violinen, zwei Kontrabässe, Klarinette und Trompete. „Achsen“ des Werkes waren Trios für Klavier und zwei Schlagzeuger, sowie für Klarinette, E-Gitarre und Violoncello. Seither entwickelt die Komponistin ihr Werk ständig weiter, Stücke für weitere Instrumente und Klangerzeuger sind dazu gekommen. Derzeit besteht „Chroma for several chambergroups and sound objects“ aus 22 „Modulen“.

Die Version XVIII kam als Auftragswerk der Salzburg Biennale im Karl-Böhm-Saal am Freitag (9.3.) zur Uraufführung und auch gleich zur Salzburger Erstaufführung: Das Ensemble MusikFabrik spielte das Werk zweimal hintereinander, um den Zuhörerinnen und Zuhörern die Möglichkeit zu geben, die Musik von jeweils andern Plätzen aus auf sich wirken zu lassen.

Zwei Röhrenglocken etwa waren bei der Salzburger Aufführung im offenen Eingang zur Felsenreitschule aufgestellt. Kam man näher, schien man in den Klangraum einer gigantischen Glocke zu treten. Ein überwältigender Eindruck, der wohl nur im Salzburger Setting entstehen konnte. Welcher Saal hat schon „nebenan“ einen Raum wie die Felsenreitschule, den man beiläufig als Soundverstärker einsetzen kann. Der Klang flirrender Crotales kam im Karl-Böhm-Saal von einem der Balkönchen an der Längsseite des Saales; die Leiter hinauf ließ an die Baupolizei denken: Ja dürfen’s denn das?

Auch die Türe in der Täfelung unter der Treppe war noch nie offen zu sehen, ja eigentlich noch nie als Türe wahrnehmbar. Ein kleines Kabuff ist dahinter, in dem die Büsten namhafter Dirigenten wie etwa Bruno Walter gelagert werden. Die bronzenen Herren blieben aber stumm. Nur ein altmodischer Plattenspieler stand auf dem Boden und in der Nähe zu hören war ein Gedicht oder ein Text rezitiert von einer Männerstimme in irgendeiner nordländischen Sprache: ein subtiler nur aus der nähe wahrnehmbarer Baustein zum Saunder’schen Klangkosmos. An der „Theke“ an der sonst Festspielgäste Lachsbrötchen und Champagner konsumieren, gab es plötzlich geschäftiges Treiben: Spieldosen wurden aufgezogen! Einzelne Döschen wurden, feines Geläute von sich gebend, ebenfalls im ganzen Raum verteilt: ein kaum wahrnehmbarer und daher umso stärkerer Zauber ging von diesen „Klangerzeugern“ aus. Etwa sechzig an der Zahl seien es in dieser Fassung gewesen, sagte der Orchesterwart nach dem Konzert. 117 waren auch schon im Einsatz.

Die Doppeltrichter-Trompeten waren optisch mindestens ebenso interessant und wirkungsvoll wie klanglich. Tatsächlich aber war das ganze aufwändige Setting nicht nur eine effektvolle „performative Installation“. Auch waren die im Raum verteilten Musikerinnen und Musiker nicht nur Stationen in einem Wandelkonzert. Immer wieder glaubte man, da und dort dem Dialog zweier Instrumente lauschen, Frage und Antwort über den Saal hinweg wahrnehmen zu können. Beim zweiten Durchgang schien man da und dort einen kleinen Eindruck von den zugrunde liegenden musikalischen Strukturen zu gewinnen. Zu „durchschauen“ oder zu „durchhören“ war „Chroma“ natürlich nicht. Was angesichts der soghaften intensiven Wirkung dieser klangsinnlichen Musik völlig egal war.

Bilder: Wolfgang Kirchner