Wo, bitte, geht es hier zum Theater?

BIENNALE / KAFKAS HEIDELBEEREN

15/03/13 Ein „Imaginäres Vokal- und Instrumentaltheater“ nennt Matthias Kaul sein 2005 entstandenes Stück „Kafkas Heidelbeeren“. Von Theater keine Spur, von Musik eine aus den wilden 70er-Jahren. Als Fluxus noch modern war. In der ARGE am Donnerstag wirkte die Sache im Rahmen der Biennale altbacken und banal.

Von Gottfried Franz Kasparek

Das hat nichts mit der Qualität der Ausführung zu tun, dies gleich vorweg. Nicht einmal mit der Qualität des Komponisten, der ein mit allen Wassern zwischen Pop, Klassik, vor allem afrikanischem Ethno und Avantgarde gewaschener Perkussionist ist. Leider konnte er nicht selber agieren, wurde aber von Stefan Kohmann perfekt ersetzt, nicht nur an Trommeln, auch am Staubsauger.

L’ART POUR L’ART nennt sich treffend das Ensemble, dem auch die brillante Flötistin Astrid Schmeling und der vielseitige Gitarrist Michael Schröder angehören. Die Sopranistin Beate von Hahn singt manchmal sogar wirklich gut. Die Mundartistin Ute Wassermann, herb und spröd, bellt, murrt, quietscht, plärrt und gibt besonders oft Kotzgeräusche von sich – durchaus bewundernswert virtuos. Der Schauspieler Torsten Schütte spielt auch am Kochtopf und rezitiert nicht nur Kafka, sondern auch Henri Michaux und Roland Barthes voll sonorer Überzeugung. Alle Vokalisten haben Lautsprecher im Mund, was ihre Mienen nicht durch die derzeit sonst seuchenartig auftretenden Mikroports entstellt und ein Vorteil ist. Die Klangregie von Christoph Franke bleibt gottlob dezent.

Ein bitterernster Lachanfall wird zum Höhepunkt einer verquälten, von des sehr deutschen Gedankens Blässe angekränkelten Aktion, bei der alle Protagonisten im Halbkreis aufgefädelt herumstehen und herumsitzen wie ein ganz normales Kammerensemble. Hin und wieder schreitet oder schleicht wer im Dunkeln herum. Die Musik ist im Grunde recht konventionell, wird nur mit Geräuschen aufgepeppt. Natürlich darf auch Franz Schubert vorbeischauen, diesmal als Liederfürst. Am Ende werden Spielzeugautos und freilich am Boden bleibende Spielzeug-Flugzeuge in Bewegung gesetzt, was verstärkt ein angenehmes Surren bewirkt und knapp vor dem endgültigen Einschlafen des Berichterstatters endete. Der sich von einem liebenswerten Salzburger Klangkünstler hat sagen lassen, dass all dies vor 30 Jahren noch ziemlich modern gewesen ist.

Nun bleiben wirklich gelungene Schöpfungen bekanntlich immer modern, während andere im Orkus der Geschichte und in den Schubladen der Wissenschaft verschwinden. „Nur so viel bleibt sicher: Orientierungslosigkeit kann auch an Schönheit vorbeiführen“, so Matthias Kaul in weiser Selbsterkenntnis im Programmbuch. Es muss ja auch nicht alles schön sein, aber so fad darf es nicht sein. Und zum Beschlusse sei noch die Frage gestellt, warum immer und immer wieder Kafka als Hintergrund performativer Experimente dienen muss. Abgesehen davon, dass im Kafkaesk-Musikalischen wahre Könner wie György Kurtág und Kurt Schwertsik die Latte mittlerweile ziemlich hoch gelegt haben – wie wär’s einmal, zum Beispiel, mit Leo Perutz?

Bild: Biennale/Wolfgang Kirchner