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Rettung der Klassik durch den Geist der Ironie

SALZBURG BIENNALE / INSZENIERTE NACHT

09/03/15 Wenn etwas gut, bekannt und bewährt ist in der Kunst, zählt man es zum „Kanon“,  und hebt es damit in den Rang des Heiligtums. Nicht immer zum Nutzen der Werke. Oft müssen sie ihr Weiterleben als Pflichtlektüre, Briefmarkenmotiv oder Warteschleifen-Musik fristen. Da bleibt als Rettung nur noch die ironische Brechung.

Von Dietmar Rudolf

Simon Steen-Andersen, Composer in Residence bei der Salzburg Biennale, zeigt das mit einem geist- und humorvollen Parforceritt durch die europäische Musikgeschichte. Drei ernste Herren mit weißen Hemden und schwarzen Fliegen betreten Bühne in der ARGEkultur und intonieren mit Cello, Posaune und Keyboard Bachs „Schlummert ein“, den dritten Satz der Kantate „Ich habe genug“. Sie spielen zu einem dumpfen Playback, das sich durch viele, fast quälende Wiederholungen allmählich verlangsamt und in immer tiefere Regionen absenkt, bis sich dieses Flaggschiff bildungsbürgerlicher Bachverehrung vermurmelt in den musikalischen Marianengraben bohrt.

Wie man dieses minuziöse „Einschlummern“ von Tempo und Frequenz ohne merkliche Intonationsprobleme auf Instrumenten realisiert, bleibt ein faszinierendes Geheimnis der Musiker.

Szenenwechsel im Halbdämmer. Schwarzweiße Schemen huschen über einen absichtsvoll knarzenden Holzsteg, nehmen neue Positionen ein, um mit Vibraphon, verschiedenen Stimmgabeln und Stimmen – alles aufgenommen und elektronisch verfremdet – Schumanns „Träumerei“ in einem so abenteuerlich langsamen Tempo zu spielen, dass man das Stück eigentlich nur erkennt, wenn man weiß, was gespielt wird.

Gestört wird diese ätherische Musik durch wilde Techno-Musik im Nebenraum. Die Partystimmung überträgt sich durch eine geöffnete Tür – alles natürlich inszeniert - auf das Hauptgeschehen und gipfelt in der Rache-Arie der Königin der Nacht als Drag Queen of the Night–Act. Mozart goes Pop.

Dann schließt sich die Tür zur nicht-klassischen Welt wieder. Stimmgabeln, Vibes und Synthie-Stimmen geben sich weiter einer „Träumerei“ hin, die allmählich verebbt. Die Schemen entschwinden über den knarzenden Steg, begleitet von kleinen instrumentalen Improvisationswogen.

Dann Auftritt eines Pianisten: Er spielt Ravels „Scarbo“ aus „Gaspard de la Nuit“ - nach dem Vorsatz des Komponisten eine Karikatur der Romantik. Eine Frauenstimme aus dem off gesellt sich dazu. Sie erzählt mit freudiger (?) Aufregung über die Begegnung mit diesem nächtlichen Kobold. Das Klavier wird klanglich verfremdet, wirkt wie ein Prepared Piano bei Cage, bleibt stecken in virtuosen Läufen, die unzählige Male wiederholt werden.  Plötzlich fängt sich der das Klavier wieder und in gewohnter Virtuosität perlen die Töne, aber sie stimmen nicht mehr mit den Bewegungen des Pianisten überein. Und als dieser aufsteht und geht und nur mehr „Lichthände“ über die Tasten huschen, wird klar, dass hier einiges nur Fake war und der Komponist unsere Virtuositätsversessenheit genauso aufs Glatteis geführt hat wie vorher unsere Hitbegeisterung und unsere Klassikerehrfurcht.

Kein Wunder, dass das hervorragend aufspielende Ensemble Ascolta, das mit diesem Werk schon seit zwei Jahren erfolgreich durch Europa tourt, und der anwesende Komponist nach einer Stunde Konzert heftig akklamiert wurden. Es ist ein Abend mit viel Esprit und – was in der neuen Musik manchmal etwas zu kurz kommt – Humor. Das Publikum steht noch einige Zeit etwas verloren herum, als hoffe es, dass das doch erst die Pause sei. Aber es gibt ja noch einiges zu hören bei dieser Biennale - von Simon Steen-Andersen.

Die Salzburg Biennale bis 22. März - www.salzburgbiennale.at
Bild: SB/Wolfgang Kirchner

 

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