Nie stirbt eine Inselmöwe, nicht focht der Bär

SALZBURG BIENNALE / NICHT ICH / ISABEL MUNDRY

16/03/15 Als ich den Winter 1801 in M... zubrachte, traf ich daselbst eines Abends, in einem öffentlichen Garten, den Herrn C. an, der seit kurzem, in dieser Stadt, als erster Tänzer der Oper, angestellt war, und bei dem Publiko außerordentliches Glück machte. Er versicherte mir, daß ihm die Pantomimik dieser Puppen viel Vergnügen machte, und ließ nicht undeutlich merken, daß ein Tänzer, der sich ausbilden wolle, mancherlei von ihnen lernen könne.

Von Heidemarie Klabacher

So beginnt der Text „Über das Marionettentheater“ von Heinrich von Kleist. Ein kurzer theoretischer Text, ziemlich sperrig, aber eine wahre Fundgrube. Und so arbeiten sich denn auch schon seit Generationen die Tänzer und Choreografinnen, die Musiker und Komponistinnen, die Regisseurinnen und Schauspieler an Kleist ab. Ein Projekt über „Über das Marionettentheater“ suggeriert Gehalt, Tiefe, Intellektualität. Allein schon, dass man den Text fertig gelesen hat, adelt.

Was steht denn so drin? Der Tänzer erklärt so manches über das Führen - „Regieren“ – der Marionetten, über die Bewegungsformen und Ausdrucksmöglichkeiten der Puppen an Fäden. Das klingt dann etwa so: „Er setzte hinzu, daß diese Bewegung sehr einfach wäre; daß jedesmal, wenn der Schwerpunkt in einer graden Linie bewegt wird, die Glieder schon Kurven beschrieben; und daß oft, auf eine bloß zufällige Weise erschüttert, das Ganze schon in eine Art von rhythmische Bewegung käme, die dem Tanz ähnlich wäre.“

Das ist einer der Sätze, die in der Produktion „Nicht Ich – Über das Marionettentheater von Kleist“ wörtlich zitiert worden sind. Im ersten Teil des dreiteiligen „Szenischen Konzerts, basierend auf dem Essay von Heinrich von Kleist“, ist Kleist auch tatsächlich kurz vorgekommen: Der Anfang des Textes wurde von Band zugespielt. Dann hat es noch einige mit Bedeutung schwer befrachtete Sätze über Möwen und sogar einige Schnipsel Roland Barthes gegeben. Dazu hat ein Solotänzer zur Musik von Isabel Mundry getanzt. Ein Rausch für den Intellekt mehr als für die Sinne. Fürwahr.

Wie schreibt Kleist so schön über die Vorzüge der Puppe gegenüber „lebendigen Tänzern“: „Der Vorteil? Zuvörderst ein negativer, mein vortrefflicher Freund, nämlich dieser, daß sie sich niemals zierte. – Denn Ziererei erscheint, wie Sie wissen, wenn sich die Seele (vis motrix) in irgend einem andern Punkte befindet, als in dem Schwerpunkt der Bewegung.“ Letzteres kann man dem Tänzer Jörg Weinöhl nicht nachsagen. Er setzte die Füße aus innerster Seele.

Die Musik von Isabel Mundry ist immer von feinster Qualität: Zurückhaltend, präzise und nachvollziehbar in den Strukturen, nie laut. Das nun schon wirklich „alte“ Spiel der zeitgenössischen Musik mit Atemgeräusch der Sänger und Luftgeräusch der Blasinstrumente ist in diesem Werk von Isabel Mundry umgesetzt in überaus fein ziselierte, dennoch intensivfarbene Klänge. Den Klängen des ensemble recherche setzte das Vokalensemble Zürich vokale Glanzlichter auf. Understatement im Werk, Understatement im persönlichen Auftreten: Isabel Mundry ist trotz Jahrgang 1963 schon längst eine grande dame der Neuen Musik.

Manchmal traten die hervorragenden Sängerinnen und Sänger nicht nur mit den Instrumentalisten sondern auch mit dem Tänzer in direkten Dialog. Einzelne Tableaus wurden mit Ruhe und Würde aufgestellt. Ein wenig Bewegung war da und dort zu spüren im „Szenischen Konzert“, das Komponistin und Tänzer gemeinsam entwickelt haben. Sehr subtil natürlich. Einzelene Bewegungen und Gesten, eine charakteristische Armbewegung etwa, waren auch leitmotivisch. Wenn im Text von Mechanik die Rede ist, dreht der Tänzer an seinem Knöchel wie an einem Schräubchen. Minimalplakativ könnte man es nennen. Nach knapp einer Stunde war’s auch schon aus. Wer „Über das Marionettentheater“ vorher nicht gekannt hat, hat zumindest die ersten Sätze vorgesprochen bekommen. „Nicht Ich“ am Sonntag (15.3.) bei der Salzburg Biennale in der ARGEkultur war eine Österreichische Erstaufführung. Das Fechtduell mit dem Bären ist leider nicht vorgekommen. Wäre wahrscheinlich zu turbulent geworden.

Die Salzburg Biennale bis 22. März - www.salzburgbiennale.at
Bild: SB/Martina Pipprich