Dokumente des Horrors und ein Riss im Herzen

LITERATURHAUS / AUSSTELLUNG / DER RISS

14/05/2018 Von Afrika bis in die Arktis auf den Spuren des Horrors: Carlos Spottorno und Guillermo Abril dokumentierten EU-Außengrenzen und erschufen ein Buch, das unter die Haut geht. Die Fotoreportage in Form einer Graphic Novel ist bis 30. Juni im Literaturhaus Salzburg zu sehen. Ein Pflichtbesuch!

Paula L. Trautmann

Die gelbe Kapuze über den Kopf gezogen, die dunklen Haare vom Wind verweht, um den Körper eine orange Rettungsweste geschnallt. Ein junges Mädchen wird von drei Militärs auf ein Boot gehievt. Ihre Augen blicken dem Betrachter traurig entgegen und es kann nur erahnt werden, welchen beschwerlichen Weg sie hinter sich hat: Es handelt sich um das Titelbild des Buches „Der Riss“, das die beiden spanischen Reporter gestalteten.

Ausgangspunkt für die Reise von Spottorno und Abril war die zunehmende Fluchtbewegung der syrischen Bevölkerung nach Europa. Das spanische Magazin „El País Semanal“ beauftragte sie, an den EU-Außengrenzen zu recherchieren. Das Ergebnis ist bewegend.

Diverse Reportagen, tausende Fotografien und Filmbeiträge entstanden zwischen 2013 und 2016. Aus dem angehäuften Material machten die Spanier schließlich das Comic-Buch, genauer gesagt wurde es als Graphic Novel aufbereitet. Der außergewöhnliche Fotoroman bildet den Rahmen für das Festival „Europa der Muttersprachen“ bei dem bis 30. Juni im Literaturhaus Grenzen und Chancen in Europa thematisiert werden.

Von Melilla, der schwer bewachten spanischen Enklave in Marokko, bis in den Norden Finnlands und die Wälder Weißrusslands werden die unterschiedlichsten Grenzen gezeigt. Eines haben die Comics allerdings gemeinsam: Es handelt sich nicht um fiktive Kunst, es handelt sich um die bittere Wahrheit. Gerade weil die Bilder so authentisch sind, sind sie zugleich so bedrückend. Es ist keine Ausstellung, die nach dem Besuch wieder aus dem Kopf verschwindet. Sie regt zum Nachdenken an und hinterlässt möglicherweise auch einen kleinen Riss im Herzen.

„Man spürt, dass irgendetwas in der Welt nicht stimmt, wenn man selber so ohne weiteres die Grenzen überschreiten kann, nur deswegen, weil man zufällig in jenem Teil geboren ist. Während die, die im anderen Teil geboren sind, dies nicht können“, schildert Guillermo Abril bestürzt die herrschende Ungerechtigkeit. Beispiele für Benachteiligungen und Leid sind in der Graphic Novel von Spottorno und Abril genügend dokumentiert.

Ein paar Zahnbürsten, ein Spiegel, Tabletten, eine Babyflasche, eine Bibel und vieles mehr: All diese Gegenstände werden in einem „Horrormuseum“ auf Lampedusa gezeigt. Der einheimische Aktivist Giacomo Sferlazzo findet die Überbleibsel der Schiffsbrüchigen meist am Strand. Als „Reste zerstörter Leben“ bezeichnen die beiden Spanier die Artefakte. Es sind Bilder wie diese, die so  unfassbar sind und eine Tiefe besitzen, die schauderhaft ist.

Genau diese Tiefe verleiht der Ausstellung ihre Wichtigkeit. Es ist ein unsagbares Glück, dass die 25.000 Fotos und 15 Notizbücher in die Graphic Novel verwandelt wurden und nun in Salzburg gezeigt werden. Eine beeindruckend außergewöhnliche aufgearbeitete Wahrheit, die wirklich Jeder gesehen haben sollte

Der Riss – bis 30. Juni im Literaturhaus – www.literaturhaus-salzburg.at
Bilder:Literaturhaus/Der Riss