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Als Flüchtlinge noch Menschen waren

HINTERGRUND / RUSSENLAGER

12/11/18 „Die ‚Stadt‘ vor den Toren Salzburgs verfügte über eine Theaterbaracke, eine Bibliothek mit Lesehalle und eine eigene Feuerwehr.“ Im „Russenlager“ zwischen Grödig und Anif lebten während des Ersten Weltkriegs zeitweise mehr Menschen als in der Landeshauptstadt. Daran erinnert die Wanderausstellung Aus Galizien nach Salzburg. Kriegsflüchtlinge aus polnischen Gebieten im Ersten Weltkrieg.

Von Heidemarie Klabacher

Früher grasten dort die Kühe derNiederalmer Bauern. Heute sind dort Autobahn und zersiedelte Landschaft. Nur noch am Rande des bewaldeten Goiser Hügels erinnern Grabsteine mit kyrillischen Schriftzeichen an die Vergangenheit: 156 Italiener, 34 Jugoslawen, 21 Deutsche, 26 Österreicher und 1.851 Russen sind hier begraben: Der heutige „Russenfriedhof“ ist die letzte Spur des ehemaligen Kriegsgefangenen- und späteren Flüchtlingslagers.

„Die Ausstellung verbildlicht die Geschichte von Menschen, die vor mehr als hundert Jahren, zwangsweise emigriert, vertrieben wurden und über manche Menschen, die auch nie ganz hier angekommen sind oder in der Folge noch einmal flüchten mussten. Über Menschen, die etwas vermissten und gleichzeitig froh waren, nicht dort leben zu müssen, wohin das Heimweh ihre Gedanken lenkte. Die Auseinandersetzung mit den Entwurzelten von damals soll uns die Wertigkeit und die Notwendigkeit von Dialog, Miteinander und Empathie über Regionen und Grenzen hinaus vor Augen führen“, sagte Landtagspräsidentin Brigitta Pallauf bei der Eröffnung der Ausstellung in Grödig. 

Die Ausstellung zeige „die menschlichen Aspekte der Unterbringung der aus ihrer Heimat geflüchteten oder umgesiedelten Galizier im Lagerkomplex in Grödig“, sagte Oskar Dohle, der Leiter des Salzburger Landesarchivs, das sie Ausstellung mitverantwortet. Kriegsflüchtlinge waren – und sind – Menschen, denen geholfen werden muss - daran kann man „heutzutage“ unter einer blau-schwarzer Regierung nicht oft genug erinnern.

Die Zahlen und Fakten meldet nüchtern die Landeskorrespondenz: „Ende 1914 begannen die Arbeiten auf einem Gelände von fast 600.000 Quadratmetern. Bis zu 45.000 Menschen sollten dort in 290 Holzbaracken leben. Mit 40.000 Einwohnern wurde der Höchststand erreicht - um 4.000 mehr, als die Landeshauptstadt Salzburg in der Zählung von 1910 aufwies. 2.000 österreichisch-ungarische Wachsoldaten hielten russische Armeeangehörige hinter zweieinhalb Meter hohem Stacheldrahtzaun gefangen. Galt es anfangs durch Kriegsgefangenschaft dem Feind möglichst viele Soldaten zu entziehen, so sorgte der ungeplant immer länger werdende Krieg für Arbeitskräftemangel. Frauen rückten in Rüstungsbetriebe nach und viele Kriegsgefangene sollten den Arbeitskräftemangel ausgleichen. Im damaligen Kronland Salzburg wurden sie, weil große Rüstungsbetriebe fehlten, vornehmlich in der Landwirtschaft und im Straßenbau eingesetzt. Die sogenannte ‚Russenstraße‘ in Thalgau erinnert heute noch daran.“  

Der Lagerkomplex Grödig bestandaus drei Teilen. Lager III wurde ab Mitte 1916 als „ziviles“ Lager für die Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen verwendet. Im Klartext: Nachdem die Kriegsgefangenen zur Zwangsarbeit abkommandiert worden waren, zogen in die frei gewordenen Baracken Kriegsflüchtlinge aus dem Osten der Monarchie ein, viele aus dem Kronland Galizien im heutigen Polen. „Damals“ waren das unsere Landsleute: „Die ‚Stadt‘ vor den Toren Salzburgs verfügte über eine Theaterbaracke, eine Bibliothek mit Lesehalle und eine eigene Feuerwehr.“ Diese habe freilich 1916 einen Großbrand im Lager nicht verhindern können. „Ebenso blieben trotz frischem Untersbergwasser und Kanalisation Krankheiten wie Blattern, Ruhr, Cholera und Typhus nicht aus.“

Immerhin scheint man sich der Verantwortung für Flüchtlinge damals bewusst gewesen zu sein: „Für die Lagerkinder bestand eine russische, eine ukrainische und eine jüdische Schule. Das religiöse Leben fand in einer katholischen, einer evangelischen und einer orthodoxen Kirche sowie in einem jüdischen Tempel und einem muslimischen Gebetsraum statt.“ Trotz aller Bemühungen „wurde das Leben in der Retortenstadt von Kriegsjahr zu Kriegsjahr immer schwieriger“.

Die aktuelle Wanderausstellung „Aus Galizien nach Salzburg. Kriegsflüchtlinge aus polnischen Gebieten im Ersten Weltkrieg“ zeigt auf zwölf Tafeln Fotos, Zeitungsausschnitte und Dokumente aus der Zeit von 1916 bis Frühjahr 1918. Neben den Lebensbedingungen im Lager werden auch die Ausgangslage in der Heimat, dem damaligen Kronland Galizien, und die Zustände nach der Rückkehr dorthin veranschaulicht.

Die Ausstellung wurde in Zusammenarbeit des Salzburger Landesarchivs, der polnischen Botschaft in Wien sowie des Honorarkonsulates Polens in Salzburg und der Gemeinde Grödig realisiert. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Polen und Österreich sowie vom Salzburger Landesarchiv waren schrieben die Begleittexte und gestalteten die Schau mit historischen Abbildungen, Plänen und Dokumenten aus verschiedensten Archiven im In- und Ausland.

„Aus Galizien nach Salzburg. Kriegsflüchtlinge aus polnischen Gebieten im Ersten Weltkrieg“ – die Ausstellung ist bis 23. November im Gemeindeamt Grödig zu sehen und ab 3. Dezember im Foyer des Landesarchivs, Michael-Pacher-Straße 40, ergänzt um hauseigene Originalexponate
Bilder: Salzburger Landesarchiv

 

 

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