Ziehen, drehen, staunen

SPIELZEUGMUSEUM / SPIELBILDERBÜCHER

18/02/14 Die kleine Raupe Nimmersatt frisst Apfel, Wurst und grünes Blatt nicht nur als „Flachware“ - in der Pop-Up-Ausgabe des Klassikers entfalten Kokon und schillernde Schmetterlingsflügel erst so richtig ihre Pracht. Seit 1830 faszinieren „Spielbilderbücher“ Kinder und Erwachsene. Das Spielzeugmuseum zeigt die schönsten ihrer Art aus der eigenen Sammlung.

Von Heidemarie Klabacher

421Streifenzug oder Drehscheibe. Kulissen oder Jalousienbild. Pop-up… Es gibt viele Möglichkeiten, ein zweidimensionales Buch in die dritte Dimension zu holen. Die vierte Dimension ist der Zauber, der über solchen Büchern liegt. Man schlägt sie auf und sie locken in ihre filigranen farbigen Tiefen...

Das kann ein Zirkus sein, ein Märchenschloss oder Dschungeldickicht: Das Buch wird geöffnet und Schloss und Park oder Urwald und Lianen entfalten sich vor staunenden Augen. Es geht aber auch ganz bürgerlich: Brave Mädchen – Klavier übend, Socken strickend – verschwinden, wenn der Streifen am unteren Bildrand gezogen wird, und machen Platz für ein hoffärtig dahinstolzierendes Mädchen im roten Kleid, das verachtungsvoll auf einen Bettlerknaben blickt. „Nehmt’s Euch zu Herzen“, ist der Titel dieses „Ziehbilderbuches mit Verwandlungen für die liebe Jugend“ aus dem Jahr 1880.

419 „Das war schon damals ein aufwändiges, teures Bilderbuch – Schablonenmalerei koloriert – das sicherlich nur in Kinderzimmern des Großbürgertums zu finden war“, sagt Peter Laub vom Spielzeugmuseum, der die Ausstellung „Spielbilderbücher“ gestaltet und betreut, im Gespräch mit DrehPunktKultur.

In dieser Szene mit den braven und hoffärtigen Mädchen gehe es nicht um Geschlechterrollen, sondern um soziales Verhalten: „Das Buch war schon immer ein Objekt, mit dem man was lernen soll. Und im Spielbilderbuch soll man was tun, um was zu lernen. Jedes Spiel hatte ursprünglich immer auch einen pädagogischen Nutzen.“ Bald aber sollten auch die reine Freude und der Spaß im Umgang mit Büchern eine Rolle spielen. „Spielbilderbücher richten sich an Kinder und Erwachsene“, sagt Peter Laub. Im Gegensatz zur Modelleisenbahn, „die doch eher nur die eine Hälfte der Erwachsenen beschäftigt, faszinieren Spielbilderbücher alle Menschen, ob groß oder klein. Das ist ihr Geheimnis.“

420Ob Teddys, Eisenbahnen oder Bücher: Das Spielzeugmuseum besitzt weit mehr Schätze, als in den Ausstellungsräumen gezeigt werden können. Um dem Publikum wenigstens einen Eindruck von der Vielfalt der im Depot einsam und „unbespielt“ vor sich hinträumenden Kostbarkeiten zu vermitteln, gibt es immer wieder kleine Sonderschauen: Im ersten Stock im „Mesnerstöckl“ (das hinunter auf die Straße schaut) werden unter dem Motto „Aus der Sammlung“ themenweise Objekte aus den eigenen Beständen präsentiert. Ab heute Montag (18.2.) sind das also Spielbilderbücher.

350 Exemplare aus unterschiedlichsten Zeiten und mit vielfältigsten Inhalten besitzt das Museum, gut fünfzig davon werden bis 16. November zu sehen sein. „Irgendwann im Mai werden wir einmal umblättern.“ Das ist aus konservatorischen Gründen bei den heiklen Papierobjekten nötig – und Abwechslung bringt es auch. Das Spielzeugmuseum hat eine ganz besondere Spielbuchsammlung: „Hildegard Krahé, eine Bibliothekarin und Jugendbuch-Spezialistin, hat ihre Sammlung von etwa dreihundert Spielbilderbüchern im Jahr 2001 dem Spielzeug Museum geschenkt, wo sie mit der hauseigenen Sammlung vereint wurde.“ Das Spielzeug Museum besitzt einige der frühesten Spielbilderbücher aus den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts, aber auch zeitgenössische Büchr bis herauf zu modernen Büchern der Gegenwart, wie etwa die Kleine Raupe Nimmersatt.

418Ein besonders schönes Beispiel ist das Pop-up-Buch „Segelschiffe. Modelle aus alter Zeit zum Aufklappen“. „Hinter diesem simplen Titel verbergen sich auf sechs Pop-up-Doppelseiten dank des Einfallsreichtums des Paper-Engineers Ron van der Meers wahre Wunder aus Papier“, sagt Peter Laub: Fünf Schiffstypen entfalten sich beim Aufschlagen des Buches – teilweise bis zu einer Höhe von 27 Zentimeter. Dieses Buch hat es sogar in die Schriftenreihe „Kunstwerk des Monats“ geschafft.

Ein märchenhaftes Pop-up-Wunderwek ist „Jack the Giant Killer and Other Tales“: In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts produzierte der New Yorker Verlag Blue Ribbon Books, Inc. zusammen mit dem Illustrator und Paper-Engineer Harold B. Lentz eine Serie von Büchern mit sich selbst entfaltenden Bildern, für die der Verlag als erster den Begriff „Pop-up“ verwendete.

Das Herz höher schlagen lassen die beiden Bücher, die „aufgeklappt“ von oben betrachtet einen Stern bilden - und von der Seite angeschaut den Blick auf Miniatur-Theaterprospekte freigeben. Themen: Aschenputtel und The Birth of Jesus. Diese beiden wahrhaft zauberhaften Bücher sind im Kriegsjahr 1943 und im Nachkriegsjahr 1947 geschaffen worden.

Spielebilderbücher im Spielzeugmuseum sind bis 16. November zu sehen - www.salzburgmuseum.at
Bilder: Spielzeugmuseum (1); dpk-klaba (3)