Bekennende „Gestrige“ mit Beethoven

FESTSPIELE / GEWANDHAUSORCHESTER / BLOMSTEDT

01/09/16 Was die Wiener Philharmoniker können, kann das Gewandhausorchester Leipzig auch – und viel länger. Erstere haben in Salzburg, zum zweiten Mal schon, einen Zyklus aus Werken offeriert, die sie einst uraufgeführt haben. Als das Gewandhausorchester Beethovens Fünftes Klavierkonzert aus der Taufe gehoben hat, waren die Wiener Kollegen noch gar nicht gegründet...

Von Reinhard Kriechbaum

Manch andere historische Betrachtung könnte man anstellen zum allerletzten Festspielkonzert heuer. Zum Beispiel zu Beethovens Leonoren/Fidelio-Ouvertüren. Alle vier hat Mendelssohn 1840 im Gewandhaus dirigiert, um – so berichtet Schumann als Zuhörer – „Beethoven bei seiner Arbeit belauschen zu können“. Das Unternehmen war gewiss das erste seiner Art.

Für Salzburg hat Herbert Blomstedt die selten gespielte zweite Leonorenouvertüre ausgesucht. Die Ohren werden gekitzelt, weil sie der dritten ja nicht unähnlich ist, aber die vertrauten Themen irgendwie durcheinandergemischt wirken. Das Trompetensolo (im Großen Festspielhaus diesmal keine Fern-, sondern quasi eine direkt aufs Publikum gerichtete Nahtrompete) schmettert gar eine ganz andere Fanfare. So weit, so gut, man könnte sich daran gewöhnen.

An das Fünfte Klavierkonzert musste man sich am Mittwoch (31.8.) auch gewöhnen, ein bisschen jedenfalls. András Schiff war der Solist, und der hält's bekanntlich mit dem Bösendorfer. Weil beide Herren sich respektabel viel Zeit gelassen haben in den Ecksätzen und man einander nicht drängte, sind viele solistische Details recht anschaulich zur Geltung gekommen. Etwa die vielen Portato-Formulierungen, mit denen András Schiff die Bösendorfer-Eigenheiten so recht herausstellt. Das hat dann weniger Heroisches an sich, als man der Tonart Es-Dur und gerade diesem Werk oft zuschreibt. Im Rondo dann viel Tänzerisches. Eilig darf man's freilich nicht haben, wenn sich zwei bekennende „Gestrige“ über Beethoven hermachen – aber warum sollte man das auch am letzten Festspielabend?

Gestrig darf man getrost auch als Stichwort für die Wiedergabe der „Siebenten“ verwenden. Respektvoll, nicht mit abwertendem Unterton. Herbert Blomstedt ist seit anderthalb Monaten Neunundachtzig. Wie oft mag er die „Apotheose des Tanzes“ geleitet haben? Dass er sich ebenso versteht auf Ökonomie wie das Gewandhausorchester, dass man also mit der Energie bis zuletzt gut gehaushaltet hat – wen wundert's? Mit jener Wiedergabe der „Siebenten“, mit der vor drei Wochen Aziz Shokhakimov in Salzburg den Young Conductor's Award gewonnen hat, darf man nicht vergleichen. Das wäre unfair, die Zeit geht weiter.

Bilder: Salzburger Festspiele / Martin U.K. Lehmann (1)