„Ich identifiziere mich mit Aida“

INTERVIEW / FESTSPIELE / SHIRIN NESHAT

19/07/17 „Er muss doch verrückt sein.“ Das, gibt Shirin Neshat unumwunden zu, sei ihr als erstes durch den Kopf gegangen, als vom Intendant Markus Hinterhäuser die idee an sie herangetragen wurde, in Salzburg „Aida“ zu inszenieren. Sie ist ja bildende Künstlerin. Und Oper hat sie noch nie inszeniert.

Von Anne Zeuner

Aber, so erklärt sie jetzt: Je mehr sie darüber nachdachte und je tiefer sie in die Materie eintauchte, umso klarer sei ihr geworden, warum Hinterhäuser sie gefragt habe. „Ich bewundere Markus für das Vertrauen, das er in mich setzt und für seinen Mut mich zu engagieren“, sagt Shirin Neshat. „Am Anfang hatte ich sicherlich ein bisschen Angst, aber ich habe mich der Herausforderung gestellt. Sowohl in der Arbeit als auch in meinem Privatleben gibt es diese Dichotomie zwischen dem Frausein und der politischen Tyrannei und Unterdrückung“, sagt Shirin Neshat.

„Ich identifiziere mich mit Aida“, sagt Shirin Neshat. Sie selbst sei als Unschuldige ins Exil geschickt worden, getrennt vom eigenen Heimatland, dem Iran, und von der Familie und den Liebsten. „Ich weiß, wie es sich für Aida anfühlen muss, man macht einen Prozess durch, man merkt, dass man weitermachen kann, sich neu verlieben kann, sich an die Umstände anpassen kann.“ Aida sei eine Überlebende, sie durchlaufe Phasen der Nostalgie, der Wut, der Hoffnung auf Rückkehr, bis hin zur Akzeptanz, dass es kein Zurück mehr gibt. Sie lebe mit einer ungelösten Situation weiter. „Manchmal sind die Grenzen fließend zwischen Aida und mir“, sagt die Künstlerin.

Shirin Neshat hat sich als Künstlerin immer gewandelt. Angefangen hat sie mit Fotografie, dann ging die im Exil lebende Iranerin weiter zu Videos und ist nun eben bei der Inszenierung einer Oper angekommen. Seit zwei Wochen laufen nun die Proben für „Aida“. Wo liegen für diese Metier-fremde Künstlerin die Unterschiede zwischen der bildenden Kunst und der Oper? „Es gibt natürlich viel mehr Vorgaben als wenn man Video macht“, sagt Shirin Neshat. „Man kann das Tempo oder die Geschichte nicht ändern wie in einem Drehbuch, aber man kann seine eigene Interpretation in diesen Grenzen finden.“

Mittlerweile gefallen ihr sogar diese Grenzen. Sie versuche eine Balance zu finden zwischen der Kraft der Oper, zwischen der Kraft der Geschichte und ihrer eigenen Lesart. Vor allem sei ihr wichtig, die Kritik zu integrieren, die viele Menschen aus der arabischen Welt bei dieser Oper empfinden. Viele sähen das Werk sehr kritisch und empfänden einige Anmutungen fast schon als rassistisch. „Es ist meine Verpflichtung, diese Kritik anzunehmen und gleichzeitig die kraftvollen Momente der Oper aufrecht zu erhalten“, sagt Shirin Neshat.

In Ihrer Inszenierung habe sie versucht, die Verhältnisse zu analysieren: Wer ist gut, wer ist böse, sie vermische die Kulturen miteinander, um die menschlichen Emotionen in den Vordergrund zu stellen. Bettina Auer ergänzt, Verdi sei ein sehr politischer Komponist gewesen. Ägypten sei nur eine Folie. „Aber es ist eine zeitlose Geschichte, die wir da erzählen“, sagt die Dramaturgin. Es sei nie so richtig eindeutig, wer gut ist und wer böse, das schlage sich auch in den Kostümen nieder. Die Priester etwa, sagt Shirin Neshat, vereinen alle Religionen in sich. Sie wolle darstellen, dass am Ende alle zu Fanatismus fähig seien. Sie habe sich auch von syrischen Flüchtlingen inspirieren lassen, und sich bei der Darstellung der Äthiopier für zeitgemäße Kostüme entschieden.

Das größte Problem, das sie mit der traditionellen Darstellung der „Aida“ habe, sei, dass die Oper zu unterhaltsam, zu kriegsverherrlichend und zu triumphal sei. Genau da, so ergänzt Dramaturgin Bettina Auer, sei aber auch die Kunst eines so großen Komponisten wie Verdi. „Der Text im Libretto sagt – ‚wir wollen den Krieg‘ – immer und immer wieder. Aber Verdi verpackt es in eine so verführerische Musik“, sagt sie. Shirin Neshat wolle nun mit ihrer Inszenierung die menschliche Tragödie herausstreichen – dabei nutzt sie unter anderem Tänzer, die mit tierähnlichen Masken wie Geister wirken. Die Figuren auf der Bühne können sie nicht wahrnehmen, sie wirken übernatürlich und führen mit stilisierten Bewegungen durch die Welten der Ägypter und der Äthiopier. Sie sollen helfen die Tragödie der Aida herauszustreichen und nicht den Krieg zu verherrlichen.

Ein weiterer Aspekt sei für sie in der Oper vernachlässigt worden: nämlich die Frage, wie Aida ihr Volk sieht, das sehe man konkret eigentlich nur während des Triumph-Marsches. Shirin Neshat hat sich nun entschieden Videos einzusetzen, um unter anderem diesen Fakt zu verdeutlichen. So zeige sie, während Aida singt, ein Video mit Bildern ihres Volkes, der Sklaven. Ein anderes Video wird während Radamès‘ geheimer Gerichtsverhandlung am Ende der Oper eingespielt, es zeige Bilder der Fanatiker, die Gewalt ausüben. Denn diese Verhandlung sei eine Scheinverhandlung, das Urteil wurde schon längst gesprochen. Diese Videos habe sie in Wien gedreht, mit syrischen und afrikanischen Flüchtlingen, aber auch mit Österreichern.

Die Frage, die am Ende dieser so tragischen Oper bleibt, ist: „Gibt es Hoffnung?“, sagt Dramaturgin Bettina Auer. „Ich habe sehr lange über das Ende der Oper nachgedacht“, bestätigt Shirin Neshat. „Und ich finde es ist ein wundervolles Ende. – Denn da steht der menschliche Entschluss von Aida und Radamès, sich gegen die Regeln der Macht zu stemmen und in den Tod zu gehen. Es ist ein menschlicher Entschluss, ein menschliches Ende. Für mich gibt es ein Licht am Ende des Tunnels“, sagt die Regisseurin.

Verdis „Aida“, dirigiert von Riccardo Muti, hat am 6. August Premiere, alle Vorstellungen (bis 25. August) sind ausverkauft. Fernsehausstrahlung am 12. August um 20.15 Uhr in ORF 2 und auf ARTE. Ö1 sowie vom BR Hörfunk sind mit ihrem Ton etwas voraus, die senden zeitversetzt um 19:30 Uhr – www.salzburgerfestspiele.at
Bild: Salzburger Festspiele / Anne Zeuner