Die Zwielicht-Fetischisten

FESTSPIELE / LIEDERABEND CHRISTIAN GERHAHER

01/08/17 Was für ein sanftes Pandämonium, wenn die „drei Schattengestalten“ zum Wagen hereinhuschen, der da „rollet langsam durch lustiges Waldesgrün“. Erst im unendlich langen Klavier-Nachspiel bekommt man das gespenstische Grimassenschneiden dieser ungebetenen Gäste so recht mit.

Von Reinhard Kriechbaum

Heinrich Heine hat sich die bizarre Szenerie ausgedacht, Robert Schumann hat sie komponiert. Und Christian Gerhaher hat genau damit seinen ausschließlich und mehrheitlich unbekanntem Schumann gewidmeten Festspiel-Liederabend ausklingen lassen. Diese Geister-Gesellen, „so spöttisch und doch so scheu“, die sich „wie Nebel zusammenquirlen“, die ahnt man vom ersten Ton der Klavierbegleitung in ihrer rhythmischen Unbestimmtheit. So ein Lied setzt nur ein Sänger ans Ende, der völlig im Reinen ist mit sich und seinem Klavier-Partner. Der Pianist beansprucht in dieser kleinen Pretiose nämlich alle Aufmerksamkeit für sich.

So ticken Christian Gerhaher und Gerold Huber. Nie setzt sich der Sänger sich alleine in Szene. Eine solche Schumann-Exegese, destilliert aus romantischen Musikbildern ebenso wie kruden Bizarrerien dieses Zeitalters, können so nur diese beiden Liedgestalter quasi in Personalunion leisten.

Das meiste an diesem Schumann-Abend kam aus den hinteren der Schumann-Liedbände. Dorthin verirren sich Sänger nur selten. Dass es nicht nur von Schubert, sondern auch vom rheinischen Meister ein „Über allen Gipfeln ist Ruh'“ gibt, ist vielleicht noch bekannt. Aber die melancholische Erzählung vom „Schneeglöckchen“, das eine eher unglückliche Kurzzeit-Existenz führt an „des Winters Liverei“ wird selbst geeichten Liederabend-Hörern kaum einmal untergekommen sein.

Da waren Gerhaher und Huber wieder einmal so recht in ihrem Element, als Fetischisten des Schattigen, Abgründigen, Geheimnisvollen. Echt krass, wenn Heinrich Heine mit der ihm eigenen spöttischen Ironie in „Dein Angesicht“ alle Empathie auf die Lippen der Dame lenkt und sogleich deren „Rot“ aufs Wort „Tod“ reimt. Ende der lyrischen Durchsage.

Christian Gerhaher versteht sich darauf, Stimmungen gleichsam en passant zu brechen. Er treibt nicht mit dem Holzhammer Keile in die Risse der Klötze, aus denen Heinrich Heine, Nikolaus Lenau, Justinus Kerner und Konsorten ihre Wort-Skulpturen schnitzten. Lenaus/Schumanns „Der schwere Abend“ lässt Gerhaher das Nichts nach dem Verlust der Geliebten so eindringlich wie nur vor Augen entstehen, ohne gestalterisch eins drauf zu setzten. Laut wird er sowieso nur ganz selten. Der finale Schrei gehört übrigens auch da dem Klavier.

„Trost im Gesang“ findet auch derjenige, dem die Lieder mit der Geliebten abhanden gekommen sind. Den Trotz einer verletzten Seele übermittelt Gerhaher mit dezenter Bestimmtheit, immer vom genauen Deklamieren ausgehend, von Phrasierungen, die auch eine gewisse Distanz aufbauen: Etwas sehr Spezielles in diesen Schumann-Auslegungen ist, dass Gerhaher und Huber nicht selten die Entscheidung zwischen Ironie und Bitterkeit offen lassen. Damit sind sie ganz nah am romantischen Zeitalter. Eingebettet in viel Absonderlich-Unbekanntes war der Heine-Liederkreis op. 24, von dessen letztem Liedtitel, „Mit Myrten und Rosen“ man sich ja auch nicht täuschen lassen darf: Sie zieren ja, wie man rasch erfährt, „dies Buch wie 'nen Totenschrein“, in dem alle Liebes- und Klagelieger eingesargt sind. Und diese Lieder sind „wie ein Lavastrom, der dem Ätna entquillt / hervorgestürzt aus dem tiefsten Gemüt“. Auch da: Mezzoforte ist genug.

In keiner Zeit wurde so sehr mit dem Tod liebäugelt wie in der Romantik, und Gerhaher hat das Timbre in der Stimme, dass man am liebsten gleich mal selbst Probe liegen ginge in die Bretterkiste. Die Blümelein „verwelkt, verdorret“, die machen in Gerhahers präziser, unprätentiös nachhaltiger Diktion Gänsehaut. Aber mit diesem Lied („Tragödie“, Text von Heine) sind wir schon im Zugabenteil. Auch da wird man in einem Gerhaher-Liederabend bestimmt nicht übermütig.

Bild: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli