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Aus der Enge der Sonate in die freie Fantasie

FESTSPIELE / GRIGORY SOKOLOV

02/07/17 Schubert spielt er, so scheint's, jedes Jahr noch ein wenig gesanglicher, lyrischer, dabei mit sagenhaft inspirierter Tiefenschärfe, so dass man immer wieder neue Motiv-Wendungen, neue Satz-Raffinessen vernimmt: Grigory Sokolov war da und Schubert fand sich in ausreichender Menge im üppigen Zugabenblock.

Von Reinhard Kriechbaum

Das weiß man ja, dass man bei Sokolov so schnell nicht wegkommt. Mitternacht war's diesmal, und Schubert eine kleine Offenbarung (wäre da nicht ein Enthusiast gewesen, der mit seinen voreiligen Bravi ins Feinsinnig-Leise hinein seiner Unmusikalität lautstark Luft machte).

Aber eigentlich war das Konzert am Dienstag (1.8.) im Großen Festspielhaus ja ein Abend allein für Mozart und Beethoven. Wollte man nach einem Thema für die konkreten Werkkombinationen suchen, dann vielleicht dies: Aufbrüche und Befreiungsgriffe aus der Form-Enge der Sonate in die freie Fantasie. In der quasi „klassischen“ Kombination von Mozarts c-Moll-Fantasie KV 475 mit der Sonate KV 457 drängt sich diese Annäherung auf. Durchaus originell aber, die „Sonata facile“ voraus zu schicken. Auch dazu fiel Sokolov nicht wenig ein, was die Ohren reizte: Den Andante-Satz zum Beispiel nimmt er unerwartet flott, so als ob er das Tempo den schnelläufigen Flötenuhren der Mozart-Zeit angeschaut hätte. So kommt der Melos völlig unverzärtelt, direkt, strukturbetont. Und gleich noch eine Überraschung: das Allegretto-Rondo der Sonata facile mit allergrößter Bedächtigkeit, Poesie pur, wo Kolleginnen und Kollegen sonst leichtgewichtig dahin plätschern...

Die ganze Mozart-Werkfolge natürlich fugenlos und ohne Zwischenapplaus. Versteht sich. Zwingend führt Grigory Sokolov von der sonatenhaften Fantasie in die fantastische Sonate, lotet in deren Adagio-Satz mit überlegtem Kalkül Grenzen aus, ohne jeden Manierismus, aber doch so spannungsgeladen, dass man dankbar ist um die vielen Schlussakkorde dieses Satzes: Es sind bei diesem Intensiv-Gestalter gerade so viele wie nötig. Und der Schlußsatz? Bezwingend ruhig, fast aquarellierend bringt Sokolov das Thema ein, und da heraus brechen, jedes Mal wieder fast unvermutet, die Agitato-Kaskaden hervor.

Zum großen Block wurden dann auch Beethovens Sonaten-Zweisätzer (Nr. 27 e-Moll op. 90 und Nr. 32 c-Moll op. 111) zusammen gebunden. Auch das ist eine sinn- und sinnenreiche Idee, führt Grigory Sokolov doch vor, wie Beethoven im einen Fall (der e-Moll Sonate) zuerst sich gleichsam befreit vom Korsett der klassischen Enge, um dann doch „im Rahmen seiner Zeit“ zu bleiben.

Ganz anders im kapitalen Opus 111. Da liegt ja nicht erst in der Arietta, dem finalen Variationssatz, plötzlich die (romantische) Zukunft offen da. Aber wie fasst das Sokolov? In ferner Distanziertheit scheint er das Thema anzusiedeln. Mit Strenge geht er die Variationenfolge an, in der es unter seinen Fingern weit weniger irrlichtert als es romantische Geister damit halten. Wollte man erklären, warum Beethoven noch als Wiener Klassiker, Schubert aber als Romantiker gilt: Sokolovs Interpretation der Arietta in ihrer wohlausgezirkelten inneren Ordnung würde bestes Anschauungsmaterial dazu liefern. Dabei: Wundersam-feiner, „romantischer“ als das schon fast magische Diskant-Pianissimo in der Variation mit den Dreierbewegungen geht’s nicht. Die Triller-Variation in ihrer irisierenden Leuchtkraft lässt Sokolov schließlich erstarren, formt einen Ausklang, der sich wie das Nachhallen einer inneren Stimme anfühlt. Da war sogar der unverbesserliche Bravo-Schreier kurz still.

Bild: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

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