Raum-Zeit-Stillstand

FESTSPIELE / ZEIT FÜR GRISEY / RSO WIEN / PASCAL

17/08/17 Die Kollegienkirche war einmal mehr der stimmige Aufführungsort eines klangsinnlichen zeitgenössischen Werkes in einer erhellend scharfsichtigen Interpretation. Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter der Leitung von Maxime Pascal spielte den monumentalen Zyklus „Les Espaces acoustiques“ von Gérard Grisey.

Von Heidemarie Klabacher

Die Kirche im Dunkel, im Licht nur die Kanzel. Diese betritt der Bratschist Mario Gheorghiu. Sein Solo erfüllt für gut zwanzig Minuten den überdimensionalen Sakralraum mit voluminösem weichem Viola-Sound auf der Basis eines in hypnotischer Manier immer wiederkehrenden Motivs: „Zeit mit Grisey“ ist eine der Reihen im Programm der ersten von Markus Hinterhäuser als Intendant verantworteten Festspiele.

Auf dem Programm der insgesamt acht Konzerte standen eigene Werke des großen 1998 verstorbenen französischen Spektralisten, von Wegbegleitern wie Tristan Murail, aber Werke auch von alten „Beeinflussern“ wie Claudio Monteverdi. Das letzte Konzert der Reihe galt einem Hauptwerk Gérard Griseys, dem Zyklus „Les Espaces acoustiques – Cycle de six pièces pour diverses formations“. Entstanden ist das eineinhalbstündige Werk zwischen 1974 und 1985. Eröffnet wird es mit dem „Prologue“ für Viola solo. Es folgen „Périodes“ für sieben, „Partiels“ für 18, „Modulations“ für 33 Musiker, sowie „Transitoires“ für großes Orchester und ein „Epilogue „für vier Solohörner und großes Orchester. Es spielte das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter der Leitung von Maxime Pascal, dem Preisträger des „Nestlé and Salzburg Festival Young Conductors Award“ 2014.

Dem Werk eignet also allein von der steigenden Instrumentenzahl her der Charakter einer Crescendo-Studie. Die Intensität mit der die klein besetzten und die Subtilität mit der die groß besetzten Teile musiziert wurden, unterläuft freilich dieses Schema. Das von der Viola im Prologue eingeführte Motiv gibt das Material für die folgenden eineinhalb Stunden insofern vor, als es etwa im zweiten Teil noch deutlich hörbar bleibt und im Epilogue quasi im Breitwandformat wieder auftaucht. Die in allen Facetten des Obertonspektrums und raffinierter Instrumentierungskunst schillernden Transitoires schießen da und dort beinah symphonisch ins Kraut, werden von den Ausführenden aber immer wieder elegant in Phrasierung und Lautstärke zurückgestutzt: So kann das „Leitmotiv“ in die Stille zurückkehren - „eine Art Wiegenlied“ nennt das der Komponist.

Welch reizvoller Kontrast zum Hörner-Schmettern und Windmaschinen-Braus im Finalsatz. Doch selbst hier waren „Dialoge“ oder „Trialoge“ zwischen Instrumenten oder Instrumentengruppen jederzeit auszumachen, Brillanz und Transparenz entzogen der Kitschgefahr den Boden. Witzig die ironisch distanzierenden Aktionen am Ende des dritten Teils, wie Scheppern mit dem Posaunendämpfer, Wassertrinken des Dirigenten, Bogen reinigen - oder Handy checken. Letzteres tut das Publikum ja auch ständig.

Dieses Konzert wurde vom ORF-Hörfunk aufgezeichnet und wird in zwei Teilen im Programm Ö1 am 28. und 29. August um 23.08 gesendet.
Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli (1); dpk-klaba (1)