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„Bei dieser Oper versteht man jedes Wort“

HINTERGRUND / FESTSPIELE / LEAR

18/08/17 Konzertmusik von Aribert Reimann stand schon öfter auf dem Spielplan der Salzburger Festspiele – so wurde etwa 2004 sein Orchesterwerk „Zeit-Inseln“ hier uraufgeführt. In diesem Sommer wird nun zum ersten Mal eine Oper Reimanns, sein „Lear“, gespielt.

Von Anne Zeuner

Fragmente dieser Oper waren bereits 1985 zu hören, mit Dietrich Fischer-Dieskau. Dieser Sänger hatte Aribert Reimann zur Komposition der Oper angeregt und bei der Uraufführung 1978 in München die Titelpartie gestaltet.

„Dietrich Fischer-Dieskau hat bereits 1968 angefangen, mich nach diesem Stück zu fragen“, erinnert sich Aribert Reimann. „Drei Jahre lang habe ich ihm abgesagt“, denn er habe es „eigentlich nicht für möglich gehalten, Shakespeares 'King Lear' in eine Oper zu verwandeln.“ Dann aber, so verrät Reimann, habe er sich intensiver mit dem Text beschäftigt, habe Claus H. Henneberg gebeten, ein Libretto zu schreiben. Und schließlich sei man auf die Idee gekommen eine alte Übersetzung aus dem Jahr 1777 von Johann Joachim Eschenburg zu nutzen, da sie näher am Shakespeare’schen Original war.

Bald seien die ersten Seiten geschrieben gewesen und es stand fest, dass Jean-Pierre Ponnelle die Regie bei der Uraufführung übernehmen sollte. „Ich habe so intensiv mit ihm zusammengearbeitet wie mit keinem Regisseur mehr später in meinem Leben“, sagt der jetzt 81jährige Komponist. Ponnelle habe ihn dramaturgisch beraten und ihn immer wieder daran erinnert, dass das Orchester lebendig machen soll, was in den Köpfen der Zuschauer entsteht, wenn sie das Stück sehen.

Es sei eine zutiefst psychologische Musik, die nicht vor Grausamkeit zurückschreckt, erklärt der Dirigent der Salzburger Aufführung, Franz Welser-Möst. Die Musik sei vielschichtig, habe doppelte Böden und gehe unter die Haut. Lässt er sich selbst mitreißen vom starken Sog dieser Musik? Es sei eben nicht die Aufgabe des Dirigenten selbst zu weinen, sondern die Botschaft zu vermitteln und die Emotionen im Publikum auszulösen, so der Dirigent. „Flapsig gesagt: Ich habe zu viel zu tun, als dass ich mich zu sehr involvieren könnte. Allerdings merke ich nach der Probe, wie sehr mich ein Stück mitnimmt.“ Einen großen Komponisten erkenne man daran, wie er mit dem Text umgehe: „Bei dieser Oper versteht man jedes Wort.“

Mit „Lear“ gibt Simon Stone sein Debüt bei den Salzburger Festspielen. Wo verortet man diesen Regisseur? Am besten gar nicht. Er wurde 1984 in Basel geboren. Seine Familie zog bald nach Cambridge/England und 1996 nach Melbourne. Stone studierte an der Universität von Melbourne am Victoria College of the Arts und arbeitete in den darauffolgenden Jahren als Theaterleiter, Autor und Schauspieler in Australien. Simon Stone wurde in Wien mit dem begehrten Nestroy-Theaterpreis für „ John Gabriel Borkman“ (im Burgtheater) ausgezeichnet.

„Hier fließt viel Blut“, heißt es im Libretto der Oper – und Simon Stone nimmt diese Worte für seine Inszenierung sehr ernst. „Der Horror, die Brutalität ist ja nicht nur im Text, sondern auch in der Musik“, sagt er. Und die Gewalt nehme mit dem Stück zu, es werde immer normaler, dass jede Figur in Kontakt mit Gewalt komme. Hat ihn die Felsenreitschule als Raum beeinflusst? „Ja natürlich! Die Arkaden sind da, man kann sie nicht ignorieren“, sagt der Regisseur. „Aber natürlich beeinflusst mich die Spielstätte nicht so sehr wie die Musik.“ Es gebe kaum ein Stück, das nach wie vor so aktuell ist, versichert Simon Stone. Zwischen Musik und den Charakteren gebe es keine Trennung. „Meiner Meinung nach hat Reimann das ideale Werk geschrieben, um den Lear-Stoff zu verstehen.“ Er habe viele Inszenierungen von Shakespeares „King Lear“ gesehen, in denen ich den Kern des Stoffes nicht erreicht wurde. „Bei Reimann ist es die Musik, die den Wahnsinn enträtselt. Die Musik klärt diesen Wahnsinn auf und antwortet zeitlos auf den Inhalt dieses Stückes.“

Er sei jeden Tag aufs Neue inspiriert von dieser Oper. Aber es gebe eben auch Hoffnung in dieser Geschichte – verkörpert durch Lears Tochter Cordelia. Sie sei diejenige, die die Wahrheit spricht. „Das ist für mich die Hoffnung! Den Mut zu haben, die Wahrheit zu sagen, wenn alle anderen bereit sind das zu tun, was von ihnen erwartet wird.“ Der Untergang Lears sei in Wirklichkeit der Moment der Selbsterkenntnis, der Augenblick, in dem er wieder menschlich werde und nicht mehr nur König sei.

Anna Prohaska singt die Cordelia, Gerald Finley den Lear. Die Sprechrolle des Narren gestaltet Michael Maertens

Aus der Not heraus, dass das Orchester nicht in den Orchestergraben hineinpasse, habe man eine Tugend gemacht, womit Franz Welser-Möst sehr glücklich ist. Das Schlagwerk wurde kurzerhand auf die Seite der Bühne versetzt. „Dieses Aufgefächerte hilft dem Klangbild bei dieser Oper. Die ersten Proben in einem kleineren Probenraum haben uns Kopfweh bereitet – jetzt aber, da das Orchester weiter auseinander sitzt, kann man plötzlich alles besser hören“, sagt Welser-Möst.

28 Neuinszenierungen hat Reimanns Oper schon erlebt. „Jedes Mal ist es eine andere Welt. Das Stück macht sich selbstständig und immer wieder werde ich von dem überzeugt, was ich sehe“, sagt Aribert Reimann. „Ich sitze jedes Mal staunend davor, was alles gedeutet werden kann. Es sind so viele Dinge darin enthalten, die immer wieder neu aufreißen, immer wieder aktuell sind.“

Aribert Reimann trat als Liedbegleiter von Dietrich Fischer Dieskau 1971 bei den Salzburger Festspielen in Erscheinung. Lieder von ihm haben namhafte Sänger immer wieder in ihre Festspiel-Liederabende eingebaut, etwa Christine Schäfer oder Thomas Quasthoff.

„Lear“ hat am 20. August in der Felsenreitschule Premiere, weitere Aufführungen sind am 23., 26. und 29. August – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Anne Zeuner

 

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